Rekonstruktionen |
Rekonstruktionen — EinleitungVerschwinden: Die Erosion trägt Gebirge ab – Tierarten sterben aus – Bauwerke zerfallen oder werden mutwillig zerstört – Nicht mehr verwendungsfähige Geräte werden entsorgt – Historische (immaterielle) Ereignisse sind schlichtweg vorbei. In unserer Kultur gibt es offenbar das Verlangen, Vergangenes wieder in Erinnerung zu bringen, dies aus verschiedenen Motiven. Dazu dienen mimetische Bilder, die eine Visualisierung des verlorengegangenen Objekts zu rekonstruieren versuchen. Was geht ein in die Visualisierungsarbeit? Faktoren bei der Genese einer Rekonstruktion ∆ Konkrete Überbleibsel
∆ Hintergrunds-Wissen
∆ Imaginationen, im Hintergrund leitende Vorstellungen, die auf die Sache projiziert werden (vgl. besonders das Beispiel mit den Drachen bei den Sauriern)
(Dank an Hendrick Goltzius für die Zeichnung!) |
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Sachgebiete, in denen Rekonstruktionen von Bedeutung sind:• Baugeschichte ➜ Salomons / Ezechiels Tempel ➜ Pfahlbauer ➜ Pompeji ➜ Troja ➜ Cluny • Kunstgeschichte i.e.S. ➜ mittelalterl. Grabplastik • Archäologie ➜ antike Waffen • Paläoontologie; biologische Fossilienkunde ➜ Saurier ➜ Homo diluvii testis ➜ Zürich zur Eiszeit • Verhaltensforschung ➜ Farbsehen bei Hund und Fliege • Geologie ➜ Alpenfaltung ➜ Kontinentalverschiebung • Geographie ➜ das Paradies • Entstehung der Welt ➜ • Narrative in der Geschichte ➜ Winkelried bei Sempach — ➜ Eleasar und der Elefant – ➜ M. Curtius • Tathergang ➜ Autounfall • Portrait ➜ Das Antlitz Jesu • Ikonographie ➜ Kebestafel • Literaturwissenschaft ➜ Der Schild Achills • Phantasievolles Arrangement ➜ Homer Annex: • ➜ Deutungsvielfalt • ➜ Konstruktion von Zukünftigem |
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Salomons und Ezechiels TempelDer Tempel in Jerusalem wurde zwei Mal zerstört: bei der Eroberung durch die Babylonier im Jahr 586 v.u.Z. und – nach dem Wiederaufbau und der Umgestaltung unter Herodes – bei der Eroberung durch die Römer im Jahr 70 u.Z. — Vgl. den Artikel in der Wikipedia. ••• Der Baubericht des salomonischen Tempels ist als Bibeltext zwei Mal überliefert: 1.Könige [Vg.: Lib. III Regum] 6–7; 2.Chronik 3–4. ∆ 1. Könige 6 (hier ein Ausschnitt, Einheitsübersetzung)
∆ 2. Chronik 3 (Ausschnitt Lutherbibel 1545)
Hier das Bild aus der 1531 bei Froschauer in Zürich erschienenen Bibel (fol. CLXV verso); Vorlage ist die 1524 in Wittenberg erschienene Bibel: Hier eine Rekonstruktion aus einer Bilderbibel (1626):
Eine dem Bibeltext genau folgende Rekonstruktion bietet Leonhard Christoph Sturm (1669–1719):
••• Der Prophet Ezechiel hat eine Vision des 586 v.u.Z. von den Babyloniern zerstörten Jerusalemer Tempels: ∆ Ezechiel / Hesekiel 40 (Ausschnitt, Elberfelder Übersetzung)
Auch dieser Text wurde visualisiert:
••• Den Herodianischen Tempel (erbaut 20–10 v.u.Z.; durch die römische Armee im Jahr 70 zerstört) beschreibt Flavius Josephus (ca. 37/38 bis nach 100) in »Geschichte des Judäischen Krieges« V, v, 1–6 und »Jüdische Altertümer« XV, xi, 1–7. Hier ein kurzer Textausschnitt:
Wenn Jean Fouquet um 1470/1475 dieses Bauwerk in einer Handschrift der »Antiquitates« von Flavius Josephus zeichnet, so mag ihm ∆ eine gotische Kathedrale als Modell vorschweben, oder aber er versteht den Tempel typologisch als ∆ Präfiguration der Ecclesia (vgl. v Naredi-Rainer S. 110ff.):
Literatur: Othmar Keel, Ernst Axel Knauf, Thomas Staubli, Salomos Tempel, Fribourg: Academic Press 2004. (hier zu bestellen) Paul v Naredi-Rainer, Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer, Köln: Dumont 1994. (Darin: Cornelia Limpricht, Der Salomonische Tempel als typologisches Modell, S. 235–300) |
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PfahlbauerAn dieser Rekonstruktion ist gut ersichtlich, dass nicht allein die am Seeufer gefundenen ∆ Holzpflöcke die Visualisierung bestimmten. Der Entdecker – Ferdinand Keller (1800–1881) – ließ sich bei der Rekonstruktion von einer ethnologischen Analogie leiten.
In einer Fussnote ist bei Keller zu lesen: ∆ Wir haben der Zeichnung, […] welche die Construction der Pfahlbauten im Zürcher- und Bielersee veranschaulichen soll, die von Dumont d’Urville mitgetheilten Ansichten des Dorfes Doreï zu Grund gelegt. Ferner: Die Fischerhütten, die noch Ende des vorigen Jahrhunderts in der Limmat standen, waren von gleicher Beschaffenheit. Jules Dumont d’Urville (1790–1842) berichtet in seinem Buch »Voyage de la corvette L’Astrolabe, 1826–1829« von seiner Expedition in die Südsee. — Keller hat die Idee wohl der deutschen Ausgabe entnommen (Hinweis bei Bandi 1979): Die Tafel 59 der deutschen Ausgabe entspricht der Tafel 116 der französischen.
Immer wieder fühlten sich die Archäologen durch Reiseberichte von Ethnologen bestätigt:
Die Rekonstruktionen der Pfahlbaudörfer werden dann allmählich in Landschaften gestellt und mit Leben erfüllt, vgl. etwa das berühmte Bild von Karl Jauslin (1842–1904) > hier oder:
Literatur: Hans-Georg Bandi, Pfahlbaubilder und Pfahlbaumodelle des 19. Jahrhunderts, in: Archäologie der Schweiz = Archéologie suisse = Archeologia svizzera, 2 (1979), Heft 1: »125 Jahre Pfahlbauforschung«, S. 28–32. Christine Kaufmann, Völkerkundliche Anregungen zur Interpretation der Pfahlbaufunde, a.a.O. S. 11–19. Marianne Flüeler-Grauwiler / Josef Gisler (Hgg.), Pfahlbaufieber. Von Antiquaren, Pfahlbaufischern, Altertümerhändlern und Pfahlbaumythen, (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band 71 = Neujahrsblatt Nr. 168), Zürich: Chronos Verlag 2004. Hans Georg von Arburg, Schweiz aus dem Sumpf. Pfahlbauergeschichten oder literar. Konstruktionen eines anderen ›Mythos Schweiz‹, in: Jürgen Barkhoff / Valerie Heffernan (Hgg.), Schweiz schreiben. Zu Konstruktion und Dekonstruktion des Mythos Schweiz in der Gegenwartsliteratur, de Gruyter 2010, S. 117–137.
Die erste menschliche Wohnung Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879), berühmt durch seine Restaurierungen mittelalterlicher Bauwerke, versucht die menschliche Ur-Hütte zu rekonstruieren. (Er ersinnt den ›Architekten‹ Epergos; hergenommen aus griech. epergasia ›Bebauung‹):
Vielleicht hat er ∆ diese Behausung gekannt:
Sebastian Münster kennt dieses Bild und übernimmt es in seiner »Cosmographie«, wo er im fünften Buch von den "neuen Inseln" spricht:
Und so bauen die Kinder der wakita.ch in 8032 Zürich heute noch im Wald: Vielleicht schwebte Viollet-le-Duc auch ∆ ein Tipi vor, wie sie auf einer Farblithographie von Karl Bodmer (1809–1893) zu sehen ist, der auf seiner »Reise in das innere Nord-America« zusammen mit Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied in den Jahren 1832 bis 1834 viele Zeichnungen von authentischen Gegenständen gemacht hatte:
Vitruv (II,4–5) differenziert: je nachem, welche Baustoffe vorhanden waren, waren die urtümlichen Bauten verschieden errichtet: mit überdeckenden Rohrbüscheln bei den Galliern, aus Holzstämmen bei den Colchern; aus Höhlen bei den Phrygiern u.a.m.. Dazu das Bild von Walter Hermann Ryff (* um 1500 – 1548):
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PompejiIm »Magasin Pittoresque« werden der ausgegrabene Befund und die Rekonstruktion des Eingangstors der Casa di Pansa auf gegenüberliegenden Seiten wiedergegeben. [Hier aus technischen Gründen nicht genau so dargestellt; die Bilder lassen sich vergrößern: Mit der sekundären Maustaste ins Bild klicken und je nach Browser wählen: "Bild in neuem Fenster öffnen" oder "Graphik anzeigen"]:
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TrojaIn der Schedelschen Weltchronik (1493) steht:
Dennoch ist ein Bild der Stadt Troja beigegeben. Im Gegensatz zu Heinrich Schliemann (1822–1890) haben Hartmann Schedel (1440–1514) und seine Illustratoren keine archäologischen Grabungen durchgeführt. — Man erkennt gut, wie die ∆ Vorstellung einer zeitgenössischen spätmittelalterlichen Stadt die Rekonstruktion leitet. (Eventuell ist eine Ähnlichkeit mit Nürnberg ja sogar gewollt. Von den Trojanern abzustammen war ein beliebtes Mittel der Traditionsbildung.)
Die Illustratoren von Vergils »Aeneis« sind immer wieder gefordert, Troja darzustellen, wenn Aeneas im 2. Gesang dessen Geschichte erzählt. Hier eine Szene vom Untergang der Stadt (2.Gesang, Verse 361ff.; man beachte das Pferd mitten in der Stadt):
Nach zeitgenössischer Vorstellung werden in Texten, die wir heute der Poesie zuordnen, historische Ereignisse wiedergegeben. Freilich handelt es sich bei den Bild-Beigaben weniger um Rekonstruktionen im modernen Sinne, sondern eher um Evokationen. So auch hier:
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Cluny IIIDie Abteikirche des Klosters Cluny war seinerzeit die größte Kirche des Christentums. Sie wurde 1798 auf Abbruch verkauft und seit 1806 als Steinbruch genutzt und fast vollständig zerstört. Immer wieder haben Kunsthistoriker versucht, die ursprüngliche Gestalt zu rekonstruieren, am wichtigsten sind die Arbeiten von Kenneth J. Conant. Hinweise für die Rekonstruktion gaben, abgesehen von den Fundament-Resten ∆ erhaltene Teile, hier eine Photographie der Türme am einen der stehengebliebenen Querschiffe:
∆ Zeichnungen aus der Zeit vor dem Abbruch von Jean-Baptiste Lallemand (1716–1803) um 1773:
Hier die Rekonstruktion von Georg Dehio (1850–1932):
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Grabmal in RomainmôtierDas Grabmal des Bischofs Henry de Sévery, Prior von Romainmôtier, das 1385–1387 errichtet wurde, wurde 1537 im Umfeld des reformatorischen Bildersturms zerstört (déroché), so zermalmt, dass heute ∆ ca. 1000 Fragmente vorliegen.
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Antike WaffenDer (unbekannte) Verfasser dieses antikenkundlichen Lexikons für Gymnasiasten (1734) zeigt Bilder von antiken Kriegs-Instrumenten und beruft sich im Text auf antike Schriftsteller.
∆ Texte: Caesar, Bellum Civile II,2: Asseres enim pedum XII cuspidibus praefixi atque hi maximis ballistis missi. (Stelle im Zusammenhang in der Übersetzung von Otto Schönberger: Doch lag seit alters her in der Stadt ein solcher Vorrat an allem Kriegsgerät und eine solche Masse von Wurfgeschützen [ballistae], dass kein mit Weidengeflecht bedecktes Schutzdach ihrer Gewalt wider stehen konnte. 12 Fuß lange Balken nämlich mit Eisenspitzen, geschleudert von riesigen Werfern, durchschlugen vier Lagen Flechtwerk und bohrten sich in die Erde ein.) Tacitus, Historiae III, 23: magnitudine eximia quintae decimae legionis ballista ingentibus saxis hostilem aciem proruebat. lateque cladem intulisset ni duo milites praeclarum facinus ausi, arreptis e strage scutis ignorati, vincla ac libramenta tormentorum abscidissent. — (Stelle im Zusammenhang in der Übersetzung von Joseph Borst: Die Vitellianer hatten nämlich ihre Wurfgeschütze auf den Fahrdamm der Straße gebracht, um einen offenen, freien Platz zum Abschuß ihrer Geschosse zu gewinnen, die anfangs da- und dahinflogen und ohne dem Feind zu schaden, ins Gebüsch schlugen. Eine ungeheuer große Wurfmaschine der 15. Legion drohte durch ihre riesigen Steintrümmer die feindliche Linie niederzuschmettern. Sie hätte weit und breit Unheil angerichtet, wenn nicht zwei Mann die Heldentat gewagt hätten, aus einem Leichenhaufen Schilde herauszureißen, sie dadurch unkenntlich zu machen und die Stränge und Schwungriemen für das Abschleudern der Geschosse abzuschneiden.) Wer die eigentliche Beschaffenheit dieser Maschienen wissen will, kan solche anderswo nachlesen. Der Acerra-Artikel verweist dazu u.u. auf Ammianus Marcellinus erwähnt in seinem Geschichtswerk an mehreren Stellen Kriegsmaschinen. In Buch 23, Kap. 4 beschreibt er: ballista (Steinschleuder), scorpio (Pfeilschleuder), aries (Rammbock), helepolis (Städtebrecher). Der lat. Text hier > https://la.wikipedia.org/wiki/Machina_bellica Hier die Beschreibung des aries (Widder) in der Übersetzung von W.Seyfarth (1906–1985), Berlin 1970: Jetzt kommen wir zum Rammbock. Man wählt eine hohe Tanne oder Bergesche aus und umschließt ihre Spitze mit einem festen und starken Eisenbeschlag. Dabei erhält man die Form eines Widderkopfes, der aus dem Körper hervorragt und der Maschine den Namen gegeben hat. Den Stamm hängt man beiderseits an querverlaufenden und eisenbeschlagenen Bohlen auf. Wie an einer Waage wird er mit Bindungen eines zweiten Balkens festgehalten. Eine Menge von Leuten zieht ihn nun, soweit es die Ausmaße erlauben, nach hinten und läßt ihn wieder nach vorn schwingen, so daß er alles, was ihm entgegensteht, zerbricht, und zwar mit stärksten Stößen, gerade so wie ein Bock anspringt und zurückweicht. Wenn die Gebäude durch seine häufigen Stöße wie durch die wiederkehrende Gewalt eines Blitzes Risse bekommen haben, fallen die gelockerten Mauerwerke zusammen. Sobald durch eine derartige Arbeit bei voller Kraftentfaltung die Zerstörung erreicht ist, stehen die Verteidiger ohne Schutz da, die Belagerung geht somit zu Ende, und selbst die am stärksten befestigten Städte liegen offen da.
Ferner verweist der Artikel in »Acerra« auf den Kriegstheoretiker des ausgehenden 4. Jahrhunderts:
Der Acerra-Autor weist auch auf einen biblischen Text hin: Johann Jacob Scheuchzer behandelte diese Stelle in der Dritten Abtheilung (1733) seiner »Physica Sacra«. Seiten 301–303; er zitierte ausgiebig Ammianus Marcellinus und ließ eine Zeichnung anfertigen (Tab. DI): Vitruv (den der Acerra-Autor nicht zitiert) spricht de architectura, X. Buch, Kap. 10 von De scorpionibus et catapultis et ballistis etiamque testudinibus, beschreibt diese oppugnatorae res aber nicht genau, sondern schildert nur ihren Einsatz in gewissen Kriegszügen. Vitruv wurde von Walther Hermann Ryff (ca. 1500 – 1548) ins Deutsche übersetzt und kommentiert und illustriert:
∆ Ähnliche Waffen kannte man aus der zeitgenössischen Technik, vgl. hier eine Darstellung in der Tschachtlan-Chronik (um 1470): Die Berner und ihre Verbündeten belagern die Stadt Wimmis mit Belagerungsmaschinen
Noch in Bertuchs Bilderbuch für Kinder (Band 2, Nr. 35, Weimar 1802) werden diese Belagerungs-Werkzeuge der Alten abgebildet und es wird der Begriff genannt, u.a.: Widder (Aries).
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Otto von Guericke (1606–1686) berichtete 1672 von einem ∆ Fossilfund in einer Karsthöhle bei Quedlinburg, den er als das Skelett eines ∆ Einhorns interpretierte. – Der Kupferstich von N. Seeländer (1716), wurde erstmals publiziert in der Protogaea von Leibniz, Tafel XII (1749). Indessen zeigt Michael Bernhard Valentini bereits 1704 ein Bild der Rekonstruktion – zusammen mit dem Vorbild und einer Diskussion über die Echtheit des Einhorns:
1822 untersuchte Gideon Mantell ein paar ∆ versteinerte Knochen. Durch ∆ Vergleich mit den Knochen lebender Tierarten kam er darauf, dass einst ein gigantisches Reptil in der Grafschaft Sussex gelebt haben musste. Mantell nannte das Tier Iguanodon. Der Paläontologe Richard Owen prägte 1841 den Namen Dinosaurier (schreckliche Echsen), um eine Gruppe ausgestorbener Reptilien zu benennen. 1854 wurden zur Eröffnung des Londoner Crystal Palace Park lebensgroße Dinosaurier-Skulpturen des Bildhauers Benjamin Waterhouse Hawkins aufgestellt. Die Plastiken von Hawkins machten Dinosaurier zum kulturellen Massenphänomen. ∆ Funde von Knochen. Hier ein neuzeitlicher Fund:
∆ Analogie: Die Skelette von modernen Echsen sind bekannt:
∆ Mentale Vorbilder gab es früher massenhaft in der Gestalt von Drachen. In der Mythologie (Kampf von Kadmos gegen den Drachen; Perseus rettet Andromeda vor dem Drachen, Iason schläfert den Drachen mit Medeas Zauberkräutern ein), in Sagen (Sigurdr / Siegfried im Nibelungenlied) und Legenden (St.Georg); Geschichtswerke (Livius: Marcus Atilius Regulus tötet einen Drachen); Naturwissenschaft (Athanasius Kircher, siehe unten). Hier nur eine kleine Auswahl:
Die Visualisierung des rekonstruierten Tiers. 1855 stellte man sich die Saurier in einem populärwissenschaftlichen Buch so vor:
Literatur: Alexis Dworsky, Dinosaurier. Die Kulturgeschichte. Wilhelm Fink Verlag, München 2011. Paul Michel, Was zur Beglaubigung dieser Historie dienen mag. Drachen bei Johann Jacob Scheuchzer, in: Fanfan Chen / Thomas Honegger (Eds.), Good Dragons are Rare. An Inquiry into Literary Dragons East and West. Frankfurt am Main u.a.: P. Lang, 2009 (ALPH: Arbeiten zur Literarischen Phantastik), p. 119–170.
Nicht nur die Körperform hat man zu rekonstruieren versucht, sondern auch die Lebensweise. Hier die Atemstellung und die Fressstellung von Diplodocus, einem Schlickgrubenbewohner. Dabei werden auch ∆ physikalische Gesetzmäßigkeiten miteinbezogen, vgl. die Pfeile K und Q für die ansetzenden Kräfte an dem in einem strömenden Wasser sich bewegenden Tier:
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Vorurteils-geleitete FehldeutungWenn die Deutung des Materials nicht bereits impliziert ist (wie z.B. wenn der Text sagt: "So war der Grundriss des salomonischen Tempels gestaltet."), muss bei der Rekonstruktion den Fundstücken eine Deutung zugeschrieben werden. Jede Deutung basiert auf ∆ Vorwissen. Der im auftauenden Eis liegende, gefriergetrocknete ›Ötzi‹ wurde 1991 zunächst für die Leiche eines Einsiedlers aus den Nachkriegswirren gehalten, der zerlumpt in den Bergen gelebt hatte. Beinahe hätte man ihn beerdigt. Erst die Besichtigung durch den Prähistoriker Konrad Spindler zeigte, dass es sich dabei um einen außerordentlichen Fund handelte. Wie ∆ Präjudizien die Interpretation steuern, erhellt schön aus diesem bekannten Fall: Eine Gruppe von Erforschern der Erdgeschichte hielt an der biblischen Vorstellung des historischen Ablaufs fest, bei dem die Sintflut (Genesis 7) einen wichtigen Einschnitt bedeutet.
Sicher hat Scheuchzer dieses Bild aus A.Kirchers Buch »Arca Noë« gekannt, das er im Literaturverzeichnis zur »Physica Sacra« zitiert:
Nach dieser Theorie ließen sich Spuren der ∆ in der Sintflut ertrunkenen Lebewesen als Fossilien im Gestein finden. 1725 wurden in einem Steinbruch bei Öhningen am Bodensee ∆ ein fossiler Schädel und ∆ eine etwa 50 cm lange versteinerte Skelett-Partie gefunden, die Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) aufgrund dieses ›Vor-Urteils‹ als Skelett eines vorsintflutlichen Menschen interpretierte. Er publizierte diese Entdeckung sofort; den Schädel in einem Journal:
und die größere Partie als Flugblatt:
Das recht seltene Denckmal jenes verfluchten Menschen-Geschlechts der ersten Welt erscheint dann 1731 nochmals in Scheuchzers »Physica Sacra« (Tab. XLIX) Es dauerte noch etwa 50 Jahre, bis diese Fossilien ∆ dem Flusswels und später einem Riesensalamander zugeschrieben wurden. Hier ein Publikation aus dem 19.Jh., die den Vergleich mit Scheuchzers Fossil zeigt:
Literatur: Urs B. Leu, Geschichte der Paläontologie in Zürich, in: Paläontologie in Zürich, Zoologisches Museum der Universität Zürich, 1999, S. 11–76; bes. Kap. 9.4. Michael Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer und die Sintfluttheorie, Tübingen: Bibliotheca Academica Verlag 2003 (Frühneuzeit-Forschungen Band 10); bes. S. 128–135. |
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Zürich zur GletscherzeitOswald Heer (1809–1883) war ein Hauptbegründer der Pflanzengeographie, hervorragender Kenner der Insektenkunde und der fossilen Pflanzenwelt. Er stand in engem Kontakt mit dem Geologen Charles Lyell, der – im Gefolge von James Hutton – mit »Principles of Geology« (1830/33) eine überzeugende Theorie der Entstehung der Erdkruste geliefert hatte. Heer nimmt einen Wandel der Pflanzen- und Tierarten an; aber etwas anders als sein Zeitgenosse Darwin. Sein Buch »Die Urwelt der Schweiz« ist mit äußerst präzisen Zeichnungen der Fundstücke versehen. (Auch Scheuchzers Beingerüst eines in der Sündfluth ertrunkenen Menschen wird zitiert und der Irrtum sachte korrigiert; S. 402ff.) Das Buch enthält auch 7 »landschaftliche Bilder«, das sind Farblithographien mit Rekonstruktionen von Landschaften in den verschiedenen Epochen der Erdgeschichte. Seltsamerweise sind diese – poetisch wirkenden – Bilder lokalisiert, so z.Bsp. Basel zur Keuper-Zeit – Lausanne zur Miocenen-Zeit – Dürnten zur Zeit der Schieferkohlenbildung – die letzte Tafel: Zürich zur Gletscherzeit:
Literatur: Urs Leu, Oswald Heer: Paläobotaniker und Kritiker Darwins, in: Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (2009) 154 (3/4), S. 83–95. |
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Wie nehmen andere Lebewesen Farben wahr?Wie findet der Biologe das heraus? Hunde haben (wie die meisten Säugetiere) nur ∆ zwei Rezeptorzellen in der Netzhaut. ∆ Experimentell kann man untersuchen, wie gut ein Tier Informationen über seine Umgebung sammeln kann (Training mit Futterquellen). J. von Uexküll (1864–1944) hätte auch einfach einen Farbkreis für die Wahrnehmung des Menschen und je einen für die anderen Lebewesen einander gegenüberstellen können; weil aber sein Anliegen seit 1909 die Erforschung der »Umwelt« war (Umwelt in Sinne von: Die Umgebung eines Lebewesens, die auf dieses einwirkt und seine Lebensumstände beeinflußt), stellte er einen (für den Menschen) alltäglichen Weltausschnitt dar, den er dann mit der Wahrnehmung von Hund und Fliege verglich:
Vgl. die hervorragende Website > https://wisotop.de/Farbsehen-Tiere.php {November 2019} |
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Geologie (1)Die Glarner Doppelfalte In den ∆ Gebirgen um das Linth-, das Sernf- und das Walenseetal liegt seltsamerweise eine ältere Gesteinsschicht über einer jüngeren. Die dicke obere Schicht aus rötlichem Verrucano-Gestein hat ein Alter von etwa 250 bis 300 Millionen Jahren; die untere, jüngere (fossilhaltige) Schicht aus Flysch ist dagegen lediglich 35 bis 50 Millionen Jahre alt.
Über die erdgeschichtlichen Vorgänge, die zur Umkehr der normalen stratigraphischen Abfolge geführt haben, entwickelten mehrere Geologen im 19. Jahrhundert verschiedene Theorien, was teilweise zu heftigen Kontroversen unter Fachkollegen führte. Es kam zu mehrfachen Paradigmenwechseln. Einige der dazu arbeitenden Geologen: R. I. Murchison — A. Rothpletz — M. Bertrand — M. Lugeon — Hans Conrad Escher von der Linth (1767–1823) — Bernhard Studer (1794–1887) — Arnold Escher von der Linth (1807–1872) — Albert Heim (1849–1937) • Erst als das Alter der Gesteine deutlich eingeschätzt worden war, konnten bessere Theorien entwickelt werden. • Den Mechanismus der Gebirgsbildung erklärte man sich nach verschiedenen (heute verabschiedeten) ∆ Theorien dann so, dass sich Schichten horizontal gegeneinander schoben, wobei Falten entstanden, die sich über einander legten. Erosion hat später obere Teile abgetragen. • Als Motor galt zunächst die Erd-Kontraktion infolge Abkühlung; nach heutiger Theorie ist die Ursache eine Überschiebung infolge der Plattentektonik. Die Rekonstruktion zeigt die (jüngere, durch Erosion abgetragene, weichere) Gesteinsschicht mit gestrichelten Linien:
Literatur: Mark Feldmann, Von der Glarner Doppelfalte zur Glarner Überschiebung (online-Publikation auf geo-life.ch 2015) Dominik Letsch, Arnold Eschers Sicht der Glarner Überschiebung, in: Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich 156 (1/2), 2011, S. 29ff. Margrit Wyder, Wissen sichtbar machen. Zu Goethes Visualisierungsmethoden in der Geologie, in: Wir wandeln alle in Geheimnissen. Neue Erfahrungen mit Goethe, hg. L. von Mackensen, Kassel 2002, S. 87–125. |
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Geologie (2)Die Kontinentalverschiebung Bereits 1858 hatte Antonio Snider-Pellegrini aufgrund ∆ identischer pflanzlicher Fossilien in Sedimenten von Nordamerika und Europa postuliert, dass diese Kontinente vor langer Zeit einmal eines waren. Alfred Wegener (1880–1930) hat die Hypothese der Kontinentalverschiebung ausgebaut (Die Entstehung... 1915, 4. Auflage 1929): Es soll zur Zeit des Karbons einen Superkontinent Pangaea gegeben haben, der später auseinandergedriftet sei. Die Konturen von Südamerika und Afrika passen genau zusammen.
Man hat in der Antarktis, in Afrika und Indien ∆ Reste eines Fossils (Lystrosaurus) gefunden, das unmöglich Meere überqueren konnte, was nahelegt, dass diese heutigen Kontinente vor ca. 260 Millionen Jahren eine Landmasse bildeten. In der Graphik von Michael J. Benton sind sowohl die rekonstruierten Umrisse der auseinanderdriftenden Kontinente dargestellt als auch (stilisiert) die ursprünglich auf dem noch zusammenhängenden Kontinent siedelnden Tier- und Pflanzenarten:
Es ergänzen sich bei der Rekonstruktion mehrere ∆ Argumentationen: (1) die aufeinander passenden Küstenverläufe der heutigen Kontinente und (2) das Verbreitungsgebiet von Tieren und Pflanzen. Dazu kommt (3) die geowissenschaftliche Einsicht in das Funktionieren der Mantelkonvektion / Plattentektonik / Kontinentaldrift. |
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Geographie••• Genesis 2, 10–14 steht eine Skizze des Paradieses: ∆ Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen. 11 Der Name des ersten ist Pischon; er ist es, der das ganze Land Hawila umfließt, wo es Gold gibt. 13 Der Name des zweiten Stromes ist Gihon; er ist es, der das ganze Land Kusch umfließt. 14 Der Name des dritten Stromes ist Tigris; er ist es, der östlich an Assur vorbeifließt. Der vierte Strom ist der Eufrat. (Einheitsübersetzung) Die Landkarte des Paradieses wurde aufgrund dieses Texts immer wieder rekonstruiert:
••• Ernst Haeckel (1834–1919) – der Popularisator von Darwins »Entstehung der Arten« – war vom Gedanken fasziniert, dass alle Lebewesen, insbesondere alle Menschenrassen aus einer gemeinsamen Urform hervorgegangen sind (monophyletischer Stammbaum). Diesen genealogischen Gedanken hat er offenbar ins Geographische umgesetzt und ∆ nach der Urheimath des Menschen gefragt. In der »Natürlichen Schöpfungsgeschichte« setzt er – nur als eine provisorische Hypothese (die er später dann verwarf) – für das Menschengeschlecht eine einzige Urheimath an. Dies müsse ein jetzt unter den Spiegel des indischen Oceans versunkener Kontinent gewesen sein. Er bezieht sich auf die These von Philip Sclater, der 1864 einen solchen Kontinent postulierte und Lemuria nannte. Haeckel zeichnet eine geographische Migrations-Tafel. Seltsamerweise ist dieser Kontinent nicht nur mit Lemurien bezeichnet, sondern auch mit Paradies – ein Wort, das im Text des Buches in diesem Kontext nicht vorkommt. Aus dem (immerhin mit Fragezeichen garnierten) Paradies gehen vier Hauptlinien hervor, wie die Genesis 2, 10–14 genannten Paradiesesflüsse...
Heute sieht man die Wanderungen und Vermischungen der frühen Hominiden so: Svante Pääbo, Die Neandertaler und wir. Meine Suche nach den Urzeit-Genen, S.Fischer 2014 David Reich, Who We Are and How We Got Here, Ancient DNA and the new science of the human past, Vintage Books 2019. Website der Max-Planck-Gesellschaft > http://www.mpg.de/neandertaler |
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Entstehung der WeltBei diesem Ereignis ist kein Augenzeuge anwesend gewesen. Die Rekonstruktion stützt sich auf die biblischen ∆ Sätze Genesis 1,1f.: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war aber wüst und öde (tohu wa-bohu), und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht! usw. Zur Visualisierung ist ∆ Phantasie nötig. (Es wird immer wieder gefragt, wer die abstrakte Malerei ersonnen hat...)
Auch Ovid kennt eine Kosmogonie (Metamorphosen I, 5ff.): Ehe das Meer und das Land und der alles bedeckende Himmel bestand, hatte die Natur ein einziges Aussehn (vultus), Chaos genannt, ein verworrene, rohe Masse (moles), […] Auch hier tritt eine göttliche Weltvernunft bzw. eine Naturkraft auf und trennt den Himmel vom Land. (Die Ovid-Illustratoren zeichnen diese Gottheit meistens anthropomorph.)
Hier die Visualisierungen in philosophisch gedachten Entstehungstheorien:
Kurz nach dem Urknall – in der Sicht der modernen astronomischen Forschung:
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Winkelried›Arnold von Winkelried‹ ist eine mythische Figur, die der Sage nach in der Schlacht von Sempach am 9. Juli 1386 Lanzen der gegnerischen habsburgischen Truppe von Herzog Leopold ergriff, in seinen Körper gerammt und dadurch seinen Mitkämpfern eine Gasse in die feindlichen Reihen geöffnet haben soll. ∆ Die erste bekannte Schilderung der Winkelried-Episode steht in der Zürcher Chronik (1476) aus dem Besitz von Gerold Edlibach (Handschrift der ZB Zürich Signatur Ms A 164, Teil III). In der Eidgenössischen Chronik von Diebold Schilling (1513 vollendet) findet sich eine Abbildung der Schlacht mit einen Mann, der die gegnerischen Lanzen auf sich vereinigt. Eine Bildlegende oder Namensnennung fehlt hier.
∆ Eine Textüberlieferung gibt es im sog. Halbsuterlied, das wohl in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. entstanden und mehrfach verschieden überliefert ist, und auch in der Chronik von Tschudi abgedruckt ist. Text (Ein Lied von dem Strit ze Sempach 1386) und Kommentar auf der Homepage von D. Bachmann:
∆ Die Beschreibung der Schlacht findet sich sodann im Geschichtswerk von Aegidius Tschudi (1505–1572), das erst im 18.Jh. gedruckt wurde:
EleasarDas erste Makkabäer-Buch erzählt die Geschichte der Unabhängigkeitskämpfe der Juden gegen die Seleukiden (175–140 v.u.Z.), die u.a. den Juden den griechischen Kult aufnötigen wollten. In einer Schlacht im Jahr 162 ereignet sich folgende Episode – die dem Heldentod von Winkelried ähnelt:
Marcus Curtius stürzt sich in den AbgrundNach der Überlieferung soll sich in Rom im Jahr 393 nach Gründung der Stadt folgendes zugetragen haben:
Literaturhinweis: Edmund Wilhelm Braun, "Curtius", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1953), Sp. 881–891. > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=95606 BartholomäusnachtFrançois Dubois (1529–1584), Massaker der Bartholomäusnacht 1572. -------------- Freilich, wenn wir alle Visualisierungen von Narrativen ins Auge fassen wollten (Bibel, antike Mythologie, Geschichtsschreibung, belletristische Literatur), kämen wir an kein Ende! Literatur: Franz Zelger, Heldenstreit und Heldentod, Schweizerische Historienmalerei im 19. Jahrhundert, Zürich: Atlantis 1973. |
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TathergangUnglücksfälle und Verbrechen werden aufgrund von ∆ Zeugenaussagen und Indizien rekonstruiert. Hier ein Verkehrsunfall. Die Gestalt des vor das Auto rennenden Knaben ist mittels einer Linienzeichnung in die Photographie eingetragen:
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Das Antlitz JesuJohann Caspar Lavater (1741–1801) wird sein Leben lang von der Frage gequält, wie Jesus Christus ausgesehen habe: Gottes Ebenbild und Urbild der Menschheit. Die ihm bekannten Darstellungen beurteilt er – das ist hier die Methode für die (Kritik an der) Rekonstruktion – nach seiner Physiognomik, und er findet an allen Bildern etwas auszusetzen. Vielleicht sollte es kein Sterblicher wagen, ein Bild von Christus zu zeichnen. Gewiß kann keiner ein würdiges zeichnen.
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Die Tafel des KebesEin aus dem 1. Jh. u. Z. stammender ∆ Text beschreibt und deutet ein Bild, das im Heiligtum des Kronos zu sehen gewesen sei. Die (ca. 20 moderne Druckseiten umfassende) Beschreibung des Bildes (Ekphrasis) in einem bildlos überlieferten Text wurde häufig wieder in eine Graphik zurück-umgesetzt.
Edmund W. Braun, Artikel »Cebestafel« in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Stuttgart 1933ff. Band 3, Sp 383ff. – online hier: http://www.rdklabor.de/wiki/Cebestafel Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens, Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Rainer Hirsch-Luipold, Reinhard Feldmeier, Barbara Hirsch, Lutz Koch, Heinz-Günther Nesselrath. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005 (= Sapere, Bd. 8). — Text und Übersetzung S. 68–111; dazu ein Kommentar. merh dazu auf > dieser Website hier |
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Der Schild AchillsIn der ∆ »Ilias« (18. Gesang, Verse 478–603) beschreibt Homer, wie Hephaistos den Schild des Achill schmiedet. In der Terminologie der Literaturwissenschaft handelt es sich um eine (fingierte) Ekphrasis, d.h. eine anschauliche Bildbeschreibung. (> https://en.wikipedia.org/wiki/Ekphrasis mit weiteren Beispielen) Ein kurzer Ausschnitt aus Homer (in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß 1793 )
Es ist immer wieder versucht worden, das Aussehen des Schilds visuell zu rekonstruieren; Lessing zitiert (»Laokoon«, 1766, Kap. XIX) Jean Boivin de Villeneuve (1663–1726), Apologie d'Homère, et Bouclier d'Achille (Paris 1715), p. 236: > http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN647534053 1809 zeichnet Quatremère de Quincy (1755–1849) den Schild nochmals. Literaturhinweis: Andreas Jung, Der Schild des Achilleus. Spiegel von Schöpfung und Schicksal. Eine Spurensuche in Homers Ilias, Daimon-Verlag Einsiedeln 2021. |
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Homer ergötzt die ZuhörerDie ∆ phantasievolle Szene des seine Gesänge vortragenden Homer profitiert vom ›wirklichen‹ Portrait des Sängers, das in antiken Plastiken vorlag (Marmorskulpturen Caetani und Baiae, hier als Holzstich wiedergegeben):
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Vielfalt von DeutungenVorsichtige Forscher haben sich nicht auf eine Rekonstruktion versteift, sodern verschiedene Deutungsmöglichkeiten angeboten. ••• Die Beschreibung von Noahs Arche in der ∆ Bibel ist vage:
Generationen haben versucht, sich ein Bild von dem Schiff zu machen; die Bibelillustrationen sind häufig. Beispiel: Jost Amman (1539–1591)
Athanasius Kircher (1602–1608) zeigt mehrere Versuche: Origenes, Hugo von Sanct Viktor, Cajetan, Nicolaus von Lyra:
••• Meyers Lexikon (1909/10) gibt zwei Rekonstruktionen von Diplodocus Carnegiei und schreibt: Dies soll zeigen, wie man dasselbe Skelett in sehr verschiedener Weise … rekonstruieren kann. Damit wird klug verdeutlicht, dass Rekonstruktionen nicht zwingend eindeutig sind. (Moderne Darstellungen hier > https://en.wikipedia.org/wiki/Diplodocus) |
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Konstruktion von ZukünftigemRückwärts in die Geschichte zu blicken gelingt mitunter, wie oben gezeigt. Der Blick in die Zukunft wird oft auch gewagt. Ingenieure planen voraussehend Konstrukte, das gehört zu Ihrem Beruf.
Johann David Köhler (1684–1755) ist in seinem Geschichtsbuch »Orbis terrarum in nuce« sehr ehrlich: Das letzte Kupfer bringt noch den Spanischen Erbfolgekrieg 1701–1709 und die Schlacht von Belgrad, wo Prinz Eugen 1707 die Türken besiegte. Die übrigen Felder bleiben leer, weil die Ereignisse noch nicht stattgefunden haben:
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Weiterführende LiteraturBernd Carqué / Daniela Mondini / Matthias Noell (Hg.): Visualisierung und Imagination. Materielle Relikte des Mittelalters in bildlichen Darstellungen der Neuzeit und Moderne, Wallstein Verlag, 2006 (2 Bände). Darin:
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zuerst online im November 2019 PM – Erweiterungen bis Juni 2020. |
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