Umsetzung in ein Modell

     
 

Einleitung: Die Begriffe ›Modell‹ und ›Explanandum‹

Denk-Modelle dienen dazu, ein wenig bekanntes System (das Explanandum) in vereinfachter Form zu repräsentieren.

Modelle entstammen einem anderen Weltbereich als das Explanandum (das Phänomen der Interferenz beim Licht kann man mit Wasserwellen simulieren).

Zwischen Explanandum und Modell gibt es eine Reihe von Entsprechungen (›Analogien‹): relevante Eigenschaften werden genau abgebildet, irrelevante aber definiert vernachlässigt (im Modell eines Flugzeugs für den Windkanal muss die Aussenform genau übereinstimmen, aber die Farbe des Rumpfs kann vernachlässigt werden; es müssen keine Passagiere im Inneren sitzen).

Modelle können verschiedene Funktionen haben: bessere Anschaulichkeit, risikofreie Manipulierbarkeit (in der Biologie von Bedeutung), Kostenreduktion (mein Ferrari im Maßstab 1:24 in der Vitrine), u.a.m.

Literatur:

William Hilton Leatherdale, The role of analogy, model and metaphor in science. Amsterdam: North-Holland, New York: Elsevier 1974.

Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie. Wien: Springer 1973.

In diesem Kapitel geht es darum: Es gibt Objekte, die zunächst in ein Gedankenmodell umgesetzt werden, das dann visualisiert wird.

 

 
     
 

Zur Verwendung des Begriffs ›Modell‹

••• ›Veristische‹ Abbilder sind genaugenommen Modelle im angegebenen Sinn: Modell-von-etwas. Man kann sich das anhand der Landkarte klarmachen: Das Explanandum ist die Erdoberfläche; die Landkarte ist ein Modell davon. Gewisse Elemente werden genau repräsentiert: der Umriss einer Insel, die Lage der Orte zueinander, die Winkel zwischen ihren Verbindungslinien (die Loxodrome in der Mercator-Projektion) – anderes wird verändert: für die Landwirtschaftszonen wird eine einzige Farbe gewählt, egal, ob dort Mais oder Gras wächst – anderes wird ganz weggelassen; so bei einer Straßenkarte die Höhen der Berge – anderes wird hinzugefügt: die Flurnamen und das Gradnetz.

Photographie: Das Delta von Isola am Silsersee im Engadin (Blick Richtung Maloja im Südwesten):

Dasselbe im Modell: Landeskarte 1:25'000

••• Eine andere Verwendung von ›Modell‹ ist die Vorlage zur Konstruktion von etwas noch nicht Existierendem (Modell-für-etwas); zur Unterscheidung spricht man besser von einer Planzeichnung. Weitere Beispiele unten.

Beispiel für die Planzeichnung eines windradbetriebenen Aufzugs, aus Konrad Kyeser († 1405) , »Bellifortis«, Handschrift um 1430 (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30150 fol. 38 > http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kyeser, Konrad: Bellifortis)

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Beispiele aus der Elektrotechnik

••• Erklärt werden soll, warum Elektrizitätswerke nicht niedrige, weniger gefährliche Spannung in den Überlandleitungen verwenden. Kupfer ist teuer und man will vermeiden, dicke Drähte an die Masten hängen zu müssen.

Das Modell veranschaulicht anhand der beiden marschierenden Schulklassen, dass bei hoher Spannung gleich viel Energie durch einen dünnen Draht geschickt werden (die durch das schmale Portal rennenden Knaben) kann wie niedrige Spannung durch einen dicken (die durch das breite Portal gemächlich schreitenden Knaben). Dieses Gedankenmodell kann bildnerisch umgesetzt werden:

E. Zihlmann, Wir bauen ein Elektrizitätswerk, (SJW Nr. 318), Zürich: Schweizerisches Jugendschriftenwerk, 2.Auflage 1958; S. 23

Die Dicke der Drähte wird durch die Größe des Portals modelliert; die Spannung durch die Geschwindigkeit der durchmarschierenden Schüler; die Menge der Energie durch die Anzahl der Schüler. Im erklärenden Text werden die beiden Sphären (Explanandum und Modell) mittels Metaphern miteinander verschränkt (Eiltempo, gemächlich):

Im Eiltempo fließt in gleicher Zeit gleichviel Strom durch die dünne Leitung wie bei niederer Spannung und gemächlichem Fließen im dicken.

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Beispiel aus der Physik: Atommodell

Der Große Herder ( Band I, 1931) schreibt im Artikel Atom: Rutherford stellte sich (1911) das A. als ein Planetensystem im Kleinen vor. Der Sonne entspricht darin ein elektropositiv geladener Kern, den Planeten elektronegativ geladene Elektronen, die auf Ellipsenbahnen mit ungeheuren Geschwindigkeiten (ungefähr 1000 Billionen Umläufe in der Sek[unde]) um ihn kreisen. […] Durch Anwendung der Planckschen Quantentheorie konnte Bohr (1913) ein Atommodell aufstellen, das besser mit den Tatsachen übereinstimmte, indem er den Elektronenbahnen bestimmte ausgezeichneten Quantenbahnen zuschrieb (Bild 2).

Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Rutherfordsches_Atommodell) präzisiert: »Entgegen häufig zu findenden Darstellungen in Lehrbüchern und anderen Sekundärquellen entwickelte Rutherford kein eigenes Modell der Elektronenstruktur von Atomen, er zitierte lediglich […] Nagaokas ›planetarisches Modell‹ […]«.

Bei Ernest Rutherford, »The Scattering of α and β Particles by Matter and the Structure of the Atom«, in: Philosophical Magazine, Series 6, vol. 21, May 1911, p. 669–688 steht der Satz: It is of interest to note that Nagaoka (1904) has mathematically considered the properties of the Saturnian atom which he supposed to consist of a central attracting mass surrounded by rings of rotating electrons.

Vgl hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Nagaoka_Hantarō: »Im Jahr 1904 entwickelte Nagaoka ein frühes ›Planeten-Modell‹ des Atoms (saturnian theory), welches das Atom als große, positiv geladene Kugel beschreibt, die von den negativ geladenen Elektronen umkreist wird.«

Im genannten Aufsatz Hantarō Nagaoka: »Kinetics of a system of particles illustrating the line and the band spectrum and the phenomena of radioactivity«, in: Philosophical Magazine. 7, 1904, S. 445–455 nennt Nagaoka als Vorläufer des Saturnian system Maxwell und Oliver Lodge.

In der Publikation von Niels Bohr, »On the Constitution of Atoms and Molecules«, in: Philosophical Magazine 26, 1913, pp. 1–25 und pp. 476–502 findet man Formulierungen wie die folgenden:

According to this theory [i.e. Rutherford 1911] , the atom consist of a positively charged nucleus surrounded by a system of electrons kept together by attractive forces from the nucleus; the total negative charge of the electrons is equal to the positive charge of the nucleus. […]

Consider a ring of electrons rotation round a nucleus, and assume that the system is in dynamical equilibrium […]. Next consider a configuration of the system in which the electrons, under influence of extraneous forces, rotate with the same angular momentum round the nucleus in a ring […].

Visualisierungen des Planetenmodells findet man bei den genannten Physikern nicht, hingegen in einem Aufsatz von Max Born (1882–1970), Der Aufbau der Materie: Drei Aufsätze über moderne Atomistik und Elektronentheorie, 1920, S.28:

> https://archive.org/stream/deraufbaudermat00borngoog#page/n38/mode/1up

Später folgen die populären Enzyklopädien wie der zitierte Herder.

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Beispiele aus der Medizin / Physiologie

••• Tobias Kohen (1652–1729) schrieb die Enzyklopädie »Ma'aseh Tobiyyah«. Darin findet sich 1707 die vergleichende Darstellung der Anatomie des menschlichen Körpers und der Architektur eines mehrstöckigen Hauses.

https://en.wikipedia.org/wiki/Ma%27aseh_Toviyyah (hier das Bild in hoher Auflösung)

www.jewishencyclopedia.com/articles/4533-cohn-tobias

Die Organe des Leibes und die Bauteile sind mittels Verweisbuchstaben aufeinander bezogen. Auf der Schriftolle in der Mitte stehen Erläuterungen.

(aleph) Scheitel   (aleph) Giebel
     
(gimel) Augen   (gimel) Fenster
(daleth) Nase   (daleth) Loggia
(he) Mund   (h) geöffnete Fenster
     
     
(taw) Magen   (taw) Kochherd
(samech) Blase   (samech) Springbrunnen

wäre noch auszuführen

Literatur: Etienne Lepicard: An Alternative to the Cosmic and Mechanic Metaphors for the Human Body? The House Illustration in Ma'aseh Tuviyah (1708), in: Medical History 52(2008)1, p. 93–105.

Lepicard möchte das Haus als mnemotechnische (von griechisch mnēmē ›Erinnerungsvermögen‹, ›Gedächtnis‹) Hilfe erklären. Diese Merkhilfen beruhen auf Strukturparallelen zwischen dem leichter einprägsamen (sinnlich vergegenwärtigten) Modell und dem schwieriger in Erinnerung zu behaltenden geistigen Gehalt. An strukturierte Orte können wir uns meist gut erinnern, daraus ist ist die sog. ›loci-Methode‹ etwickelt. Konkret dienen als Modell: Örtlichkeiten, die möglichst großräumig und recht abwechslungsreich und einprägsam ausgestattet sind, etwa ein großes Haus, das in viele Räume zerfällt. (Quintilian, institutio oratoria XI,ii,18). — Es fragt sich indessen, wozu ein Arzt sich die in situ räumlich angeordneten und deutlich geformten Organe anhand einer mnemotechnischen Figur einprägen müsste.

Biblisch kommt die Wendung ›Haus der Seele / des Lebens‹ vor in Jes. 3,20: bajit ha-näfäš – allerdings als philologischer Problemfall in der Reihe der Geschmeide, die der Herr den eitlen Töchtern Zions wegnehmen wird.

»Im Rabbinischen ist bajit Haus kein gebräuchliches Bild für Leib gewesen.« [Hermann Strack] / Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 1922–1961; Band III, S.517.

Friedrich Ohly, Artikel »Haus III (Metapher)« in: Reallexikon für Antike und Christentum, Band 13 (1986), Spalte 905–1063; insbes. 949–953 kennt keine einschlägige Stelle.

Dem Figurenpaar scheint vielmehr ein iatromechanischer Gedanke zugrunde zu liegen. Die Iatromechanik (griech. iatros: Arzt) bezeichnet eine medizinische Lehre, nach der das Funktionieren des Organismus physikalisch und mechanisch erklärt wird. Erscheinungen von Gesundheit und Krankheit gelten als abhängig von den physikalischen Funktionen des Organismus, wozu Modelle aus der Mechanik beigezogen werden.

Die Ansicht wurde u.a. gestützt durch die Entdeckung des Blutkreislaufs durch William Harvey (»De motu cordis …« 1628). Vgl. die Rede vom Nutzen des mechanischen Vernunftschlusses in der Medizin von Hermann Boerhaave (1668–1738) »De usu ratiocinii mechanici in medicina« Leiden 1703. – Ein Schüler von Boerhaave war Julien Offray de La Mettrie (»L’Homme Machine« 1748). – Ferner die Thesen von Daniel Bernoulli (1700–1782) »Positiones miscellaneae medico-anatomico-botanicae«, Basel 1721.

••• In der Tradition der iatromechanischen Modelle steht Johann Jacob Scheuchzer (1672–1733). Die Stelle Hiob 27,3: »So lang mein Athem in mir ist, und der Blast, den mir GOTT gegeben hat, in meiner Nasen ist.« ist ihm Anlass, über das wunderbare Funktionieren der Lunge zu sprechen. Die Lunge wird mit einem Blasbalg verglichen und als Maschine (machina, in der lat. Ausgabe Fol. 731b) bezeichnet.

Der Blaßbalg, durch welchen der Athem aus- und eingehet, […] ist die Lunge: Aber ein Blaßbalg von unendlich weiser Kunst, der nicht aus einer, sondern unzehlich vielen kleine Hölen und Bläßlein bestehet, und über diß an statt der Räder oder angehängten Gewichter, die man bey allezeit fortgehenden Blaßbälgen siehet, die gantze wundersame Gestalt der Brust, Rippen, Mäußlein, Zwerchfells zu Gehülffen hat. Will nun jemand einen eigentlichen Begriff von der Athmung haben, muß er in die heutige mechanische Anatomie und Medicin hineinsehen, da wird ihme die innerliche Beschaffenheit dieses künstlichen Lufft- und Pump-Wercks in die Augen fallen, daß er klärlich siehet, wie der allgewaltige und allweise GOTT Urheber von diesem Kunst-Werck seye.

J.J. Scheuchzer, Kupfer=Bibel / in welcher die PHYSICA SACRA oder geheiligte Natur=Wissenschafft derer in Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen deutlich erklärt und bewährt, Augsburg und Ulm: Christian Ulrich Wagner 1731/1733/1735, Tab. DXXI (Ausschnitt, Text dazu S. 415) > http://www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/3564407

••• In dieser Tradition stehen die Modelle/Visualisierungen von Fritz Kahn (1888–1969): »Der Mensch als Industriepalast« (1926) > http://www.fritz-kahn.com/gallery/man-as-industrial-palace/

In einem anderen Bild erklärt F. Kahn den Aufbau des Körpers wiederum anhand eines Modells des Hauses; hier geht es um den "Aufbau" größerer Strukturen aus kleineren. Die miteinander verglichenen Welten sind parallel übereinander gezeichnet:

a: Ziegel — Zellen

b: Mauern — Gewebe

c: Räume — Organe

d: Organsysteme — Wohnungen

Fritz Kahn, Der Mensch. Bau und Funktionen unseres Körpers; 2., neubearb. Aufl., Rüschlikon-Zürich: Albert Müller 1940. 4. Auflage 1948; S.33, Abb. 31.

Literatur: Uta von Debschitz und Thilo von Debschitz, Fritz Kahn – Man Machine / Maschine Mensch, Verlag Springer, Wien / New York 2009.

••• Die Bilder von Fritz Kahn sind im Web omnipräsent. Hier ein Beispiel seines weniger bekannten Konkurrenten Gerhard Venzmer (1893–1986): Die innersekretorischen Funktionen des Organismus (Insulin und Adrenalin regeln den Zucker-Stoffwechsel) werden hier in einem mechanistischen Modell von zwei Männern modelliert, die einen Schiebe-Regler bedienen.

Die Leber speichert den Zucker in einer besonderen ›Vorratsform‹, nämlich als Stärkezucker oder wie die Wissenschaft sagt, Glykogen, auf.

Aus diesem Speicher gelangt nun immer nur so viel Zucker in den Blutkreislauf, daß der Zuckergehalt des Blutes mit großer Regelmäßigkeit etwa 0,1 v.H. beträgt.

Eine überaus feine Mechanik reguliert daher ständig die Zuckerabgabe der Leber; und daß das ›Zuckerabflußrohr‹ nicht zu weit oder zu eng aufgedreht werde, wird durch das Gleichgewicht zweier Kräfte erreicht, die einander genau entgegengesetzt wirken: Das Hormon des Nebennierenmarkes, das Adrenalin, öffnet, […] das ›Zuckerabflußrohr‹ der Leber, der Wirkstoff der Bauchspeicheldrüse, das Insulin, schließt es (Abb. 20).

Gerhard Venzmer: Regler des Stoffwechsels (Hormone und Innere Sekretion II). Stuttgart: Francke 1933 (Kosmos-Bändchen).

Literatur: Heiko Stoff, Hormongeschichten. Wie sie in den Jahren 1928 bis 1954 von den Wissenschaftsjournalisten Walter Finkler und Gerhard Venzmer erzählt wurden, in: zeitenblicke 7, Nr. 3, [2008] > http://www.zeitenblicke.de/2008/3/stoff/dippArticle.pdf {10.08.2016}

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Beispiele aus der Biologie

••• Hydromechanisches Modell eines Motivationssystems / der Verhaltensauslösung aus: Konrad Lorenz (1903–1989), The comparative method in studying innate behavior patterns. Symposia of the Society for Experimental Biology 4, Cambridge UP 1950, pp. 221–254. > http://klha.at/papers/1950-InnateBehavior.pdf

Durch einen Hahn (T tap) fließt konstant Flüssigkeit in ein Gefäß (R reservoir) und sammelt sich dort an, was das endogene Bedürfnis modelliert. Der Flüssigkeitsspiegel steigt allmählich an bis zu einem gewissen Schwellenwert.

Am Boden des Gefäßes befindet sich ein federbelastetes Ventil (V valve; S spring); die das Ventil zudrückende Feder repräsentiert die inhibitorische Funktion der höheren Zentren des Lebewesens.

Die mit Gewicht belastete Waagschale (Sp scale pan) repräsentiert die auftreffenden Reize: Äußere Reize vermehren das Gewicht der Waagschale, so dass das Ventil sich leichter öffnet (im Bild: sich nach rechts bewegt).

Bei geöffnetem Ventil fließt die Flüssigkeit in eine schiefe Wanne (Tr trough) (oben ist ein Maßstab G [G wohl für gradation] angebracht); je nachdem wie weit das Ventil geöffnet ist, spritzt die Flüssigkeit weiter heraus, was die Intensität der Reaktion modelliert.

Metaphern, die die Welt des Explanandums mit der des Modells verbinden: Aufstau und Entladung der Erregungsenergie.

Konrad Lorenz spricht 1950 von einer extreme crudeness and simplicity des Modells. Er hat es dann revidiert in: Vergleichende Verhaltensforschung. Grundlagen der Ethologie, Heidelberg: Springer 1978; bes. S.143

Online-Publikation der Graphik mit ausdrücklicher Erlaubnis (E-Mail vom 16.08.2016) des Vereins »Freunde des Konrad Lorenz Hauses Altenberg« > http://klha.at/projekt_verein.html

••• Ähnlich wie Fritz Kahn (s.oben) – aber noch etwas stringenter – hat Rupert Riedl (1925–2005) anhand eines Modells erläutert, dass Subeinheiten nur in ihren Obereinheiten ihren Sinn haben:

Unsere Welt zeigt eine hierarchische Anordnung ihrer Strukturen; und diese ist von einer solchen Konsequenz, dass bestimmte Sub-Strukturen überhaupt nur in bestimmten Super-Strukturen zu erwarten sind, die selbst wieder Strukturen weiterer Superstrukturen sein müssen. (S.128)

Rupert Riedl, Biologie der Erkenntnis: Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft (1979), 1988 als dtv 10858; Abb. 27

Literatur > http://rupertriedl.org/

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Beispiel aus der Oekonomie

Wer das Wort Bilanz braucht, gibt sich wohl kaum Rechenschaft, dass dahinter das Modell einer Waage steht. Das Wort (auch in anderen Sprachen balance) kommt von lateinisch [libra] bilanx, gebildet aus bis ›zwei‹ und lanx ›Schüssel, Schale‹.

Schatzkästlein 1931, S. 98f. (Ausschnitt).

Warenverkehr der Schweiz – Das Hauptbild zeigt in Form von (innerlich nach Artikelgruppen differenzierten) Säulen in der Form von Balkengraphiken die Einfuhr und Ausfuhr von/zu einzelnen Ländern. Aus dem Text: Die Schweiz kauft in einem Jahre für zirka 680 Millionen Franken mehr Waren als sie verkauft.

Ein für das Publikationsorgan typisches didaktisches Bild zeigt eine Waage; in der einen Waagschale importierte Artikel, in der andern exportierte. Die Waage soll das Außenhandels-Defizit visualisieren. Die eingeführten Artikel ›überwiegen‹. (Insofern als man ›das Gewichtigere‹ meist als das Wertvollere empfindet, ist das Bild etwas kontra-intuitiv.)

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Beispiel aus der Spiritualität

Insofern (Ding-)Allegorien einen Sachverhalt anhand einer Struktur / Erzählung in einer anderen Welt erläutern und plausibilisieren, sind es ebenfalls Modelle.

Im Beispiel soll dargelegt werden, daß, obgleich ein Christ, der aufrichtig wandelt, von der Welt getadelt, übel geurtheilet und gelästert wird, er dennoch derjenige bleibet, der er ist, ein frommer und rechtschaffener Christ […]. Das ist das Explanandum. Als Modell dient ein ebenso paradoxes Phänomen aus der Physik:

Hier ist ein weites Trinck-Glaß über die Helffte mit Wasser gefüllet, in welches ein länglich gleiches Holtz gethan, welches aber im Wasser krumm und ungleich zu seyn scheinet, ob es gleich gerade ist und bleibet.

Des Hocherleuchteten Theologi, Herrn Johann Arndts, Samtliche Sechs Geistreiche Bücher Vom Wahren Christenthum […]. Neue Auflag mit Kupferen, Samt Richtigen Anmerckungen, kräfftigen Gebätteren über alle Capitel, und einem sechsfachen Register, Zürich, in Bürcklischer Truckerey getruckt 1746. Emblem Nr. 24: Dennoch gerade. (Die Embleme zuerst in der Ausgabe Riga 1679)

> http://www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/5225619

Vgl. zum Thema ›Embleme‹ > http://www.symbolforschung.ch/embleme

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Hintergrunds-Modelle

Hier wurden einschlägige Fälle von explizitem Modell-Gebrauch behandelt. Viele Visualisierungen basieren indessen auf impliziten modellhaften Vorstellungen:

Hier ein Beispiel für die Vorstellung der ›Kulmination‹ eines historischen Ablaufs (lateinisch culmen bedeutet Gipfel, Höhepunkt, Scheitel, Zenit):

Aus der Legende der Entwicklungskurve zur griechischen Kunst: Der Entwicklungsverlauf der griechischen Kunst läßt sich darstellen in Form einer Kurve, vergleichbar einem Wasserstrahl, der straff aufsteigt, am höchsten Punkt kurz in der Schwebe bleibt und dann, sich auflösend, niederfällt. Diesen drei Phasen entsprechen die drei Abschnitte der Entwicklung. (Als Beispiele aus der Plastik fungieren am Scheitel der Doryphoros des Polyklet und eine Kore vom Erechtheion der Akropolis in Athen — und am ›Niedergang‹ die Laokoongruppe.)

Kunst des Abendlandes, hg. von K. Martin; 1. Teil: Vorderer Orient und Antike, bearbeitet von Alfred Gromer, Dortmund: Crüwell-Concordia 1955, S.91.

Literaturhinweise:

Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Bonn: Bouvier 1960.

Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte, München: Beck 1978

Daniel Rosenberg / Anthony Grafton, Cartographies of Time: A History of the Timeline, Princeton Architectural Press 2010.

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Beispiele von Modell-für-X

••• In der Bibel (1.Moses 6,13ff.) befiehlt Gott dem Noah, bevor er die Sintflut über die Erde kommen lässt: Baue dir eine Arche aus Tannenholz; mit lauter Kammern sollst du die Arche versehen und sie von innen und von außen mit Erdharz verpichen. Und so sollst du sie bauen: dreihundert Ellen soll die Länge der Arche betragen, fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe. Eine Luke sollst du an der Arche anbringen, und zwar eine Elle hoch sollst du sie ganz herum hoch oben herstellen, und den Eingang zur Arche an ihrer Seite anbringen und ein unteres, ein mittleres und ein oberes Stockwerk in ihr anlegen.

Illustration von Melchior Küsel (1626–1683) in: Icones Biblicae Veteris et Novi Testamenti. Figuren Biblischer Historien Alten und Neuen Testaments – Proprio aere aeri incisae, et venales expositae a Melchiore Kysel, Augustano. Impressum: Augustae Vind. anno Christiano MDCLXXIX.

••• Vergil erwähnt (Aeneis, II,15f.), dass die Griechen mit der göttlichen Kunst von Athene das hölzerne Pferd bauen, das sie dann als Täuschungsmanöver gegen Troja einsetzen: equum divina Palladis arte aedificant. Im Hintergrund steht eine Anspielung in Homers Odyssee: des hölzernen Rosses Erfindung, Welches Epeios baute mit Hilfe der Pallas Athene (8. Gesang, Vers 493 ff.) — Pallas Athene / Minerva ist u.a. auch die Beschützerin der Kriegskunst.

Auf dem Bild bietet Athene den Griechen das Modell dieses Pferdes dar, einige Arbeiter beginnen schon mit der Umsetzung:

Erneuertes Gedächtnüs Römischer Tapferkeit/ an den unvergleichlichen Virgilianischen Helden Aeneas, und Seinen großmüthigen Thaten, Zu mehrer Erläuterung des hochschätzbaren Alterthums/ Der Edlen Jugend zum gemeinen Besten/ In 50. Kupfern vorgebildet von Georg Jacob Lang / und Georg Christoph Eimmart. In Nürnberg / Anno M.DC.LXXXIIX. Zu finden bei Leonhard Loschge.

Zeichner: Georg Jacob Lang (1655–1740) – Kupferstecher: Georg Christoph Eimmart (1638–1705)

••• Bastelanleitungen sind der Tummelplatz von Modellen-für:

Helveticus ####

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Umkippen in Spielerei

Es verwundert nicht, dass Modelle in populärwissenschaftlichem Schrifttum gerne verwendet werden. Dabei werden die Analogien gelegentlich strapaziert. Der Darm wird als Rutschbahn modelliert. Die durch schwer verdauliche Mahlzeiten belasteten respektive bei Vollkornkost fröhlichen Darmzwerge sind wohl kein Modell im eigentlichen Sinne mehr.

Dr. Hoppeler’s Hausarzt. Ein treuer Freund der Familie in gesunden und kranken Tagen, Luzern / Meiringen / Leipzig: W.Loepthien-Klein, 1923.

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Online gestellt im August 2016; kleine Revision September 2019 — PM

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