Bäume des Wissens |
»Bäume des Wissens« – Worum es gehtEs geht hier nicht um die Abbildung von Bäumen, sondern um die Wissensorganisation mittels Graphiken (oder genauer: Graphen), die aussehen können wie Bäume mit Ästen und Verzweigungen.
Der Artikel ist etwas eurozentrisch. In anderen Kulturen gibt es ähnliche Bäume. Inhaltsübersicht: ♦ Leitmetaphern bei der Wissensrepräsentation: Meer – Netz – Liste – Stufenleiter – Baum ♦ Andere Funktionen von Baumgraphiken ♦ Verschiedene graphische Darbietungen an der Oberfläche ♦ Objekte, die mit Baumgraphiken visualisiert werden
♦ Die Logik von Verzweigungen in Baumgraphen ♦ Anforderungen an eine Taxonomie ♦ Literaturhinweise |
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Leitmetaphern bei der Wissensrepräsentation und was sie suggerierenDas Meer Wer sich das Wissen als Meer vorstellt, nimmt an, das Wissen sei unübersichtlich, unendlich reichhaltig, und alles Einzelwissen stehe in einen grenzenlosen Zusammenhang. Der Surfer navigiert nicht wie ein herkömmlicher Kapitän, sondern er entscheidet nur, auf welche Welle er aufspringen will, und lässt es im ungewissen, wohin sie ihn trägt. Das Netz Wer sich das Wissen als Netz (gerichteter Graph, bei dem Zyklen erlaubt sind) organisiert vorstellt, suggeriert dem Benutzer der Enzyklopädie, dass er von Querverweisen in einem Artikel aus zu thematisch verwandten Wissensgebieten gelangt wie von Knoten an Fäden entlang zu weiteren Knoten. Die »Encyclopédie« (1751ff.) ist durchzogen von Querverweisen (les renvois), welche die einzelnen, alphabetisch angeordneten – und damit inhaltlich oft weit voneinander abliegenden – Artikel wie ein Netz miteinander verbinden (Hypertext). Diderot unterscheidet in seinem Artikel ›Enyclopédie‹ (in Band 5) zwei Typen von Verweisungen: Solche, die eine Verwandtschaft mit Gegenständen aufzeigen, die man sonst für abgesondert gehalten hätte; und solche, die unterstellte Zusammenhänge widerlegen. Dies zielt auf eine Änderung der herkömmlichen Denkweise ab.
Das Rhizom Eine Ordnung, die verflochten ist und nicht durch Dichotomien bestimmt wird. Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen werden, es wuchert weiter. Seine einzelnen Punkte können und sollen miteinander verbunden werden. Unterschiedlichste Sachverhalte können miteinander in Verbindung treten. – Gilles Deleuze / Felix Guattari (1977). Gute Charakterisierung bei: Umberto ECO, Kritik des Porphyrschen Baumes, in: U.E., Im Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, Leipzig: Reclam, 1989, S. 106f. Die Liste Auflistungen des Wissenswerten sind sehr alt (Sumer, 2500 BCE; »Onomastikon des Amenemope«, Ägypten, erste Hälfte des 2. Jahrtausends BCE): Inventare über alle Dinge in der Welt. Eine Form, die zum Auffinden von Wissens-Objekten nur praktikabel ist mit alphabetischen Schriftsytemen.
Die Stufenleiter In den mittelalterlichen Schulen wurde zuerst Latein gepaukt, dann wurden die Schüler ausgebildet im Trivium, dann im Quadrivium, dann erfolgte ein spezialisiertes Studium in wahlweise Philosophie, Medizin, Jurisprudenz oder Theologie. – Wir kennen das aus unserem Schulunterricht (man achte auf die Gebäudemetaphorik): zuerst werden ›Basis‹-Kenntnisse vermittelt, die ›Grundlagen‹; dann ›steigt der Schüler auf‹ über ›Stufen‹, bis er in ›höhere‹ Schulen gelangt.
Der Baum Wer sich das Wissen als Baum organisiert vorstellt, suggeriert dem Benutzer einer Sammlung von Wissenselementen, dass er durch immer spezifischer werdende Fragen an das Gesuchte herankommt; von einem Stamm aus kommt man zu jedem Zweig und der daran hängenden Frucht. Das Wissen wird ausserdem als organisch-einheitlich-zusammenhängend aufgefasst.
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›Verzweigungen‹ können optisch auch anders dargeboten werden• Stark stilisierte Bäume
• Typographisch mittels geschweifter Klammern realisierte Baumstrukturen:
• Numerierung plus Zeileneinzüge
• Diese Visualisierung von Deweys Dezimalklassifikation sieht oberflächlich betrachtet überhaupt nicht aus wie ein Baum, ist aber logisch einer; sie zeigt bei 5 einen sich verzweigenden Stamm. Vgl. hierzu unten.
• Als Flächenschachtelung
• Als Text (sieh unten bei Porphyr) • Als Tabelle (sieh unten bei Linné 1735) • Mit verschiedenen typographischen Klammern: |
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BaumsymbolikWer eine abstrakte Struktur als Baum visualisiert, impliziert entweder oder nimmt in Kauf, dass die Betrachter gewisse Konnotationen assoziieren. Denn der Baum ist ein obsessives Symbol.
Literaturhinweise Jacques BROSSE, Mythologie der Bäume, Olten: Walter 1990. (Mythologie des Arbres, Paris: Plon 1989.) Alexander DEMANDT, Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte, Köln: Böhlau 2002. Gertrud HÖHLER, Die Bäume des Lebens. Baumsymbole in den Kulturen der Menschheit, 1985. Stuttgart: dva 19858. Manfred LURKER, Der Baum in Glauben und Kunst. Unter besonderer Berücksichtigung der Werke des Hieronymus Bosch, (1960) 2., erw. Aufl. mit Bibliogr. zum Baum-Thema, Baden-Baden: Koerner 1976 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 328). Otto MAZAL, Der Baum. Ein Symbol des Lebens in der Buchmalerei, Graz: ADAV 1988. Michel PASTOUREAU (Hg.): L’arbre. Histoire naturelle et symbolique de l’arbre, du bois et du fruit au Moyen Age. Paris: Éditions le Léopard d’Or 1993. Liselotte STAUCH / Walter FÖHL, Artikel »Baum«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 63–90 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=95640 Wikipedia-Artikel > https://en.wikipedia.org/wiki/Tree_of_life Verschiedene Artikel zu Bäumen im WiBiLex = Wissenschaftliches Bibellexikon im Internet > http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/72821 Deshalb werden Bäume auch gezeichnet, wenn sie nichts mit der Visualisierung von Wissen zu tun haben, zum Beispiel in der Werbegraphik, wo sie das Wachstum des Geldes von Ersparnissen u.ä. symbolisieren sollen. Diese Fälle schließen wir aus der Betrachtung aus. |
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Baumgraphiken haben auch andere Funktionen, als Wissensorganisation zu visualisieren.Baumgraphiken behaupten, allumfassend zu sein (alles entsprießt einem einzigen Stamm); Baumgraphiken lassen sich leicht memorieren; sie sind didaktisch einprägsam; Baumgraphiken dienen zur Strukturierung / als Findehilfe in einem Gebiet, das sprachlich schwer strukturierbar ist oder von Verschiedensprachigen genutzt wird; Baumgraphiken zeigen die nähere oder fernere Zusammengehörigkeit der damit geordneten Dinge; Baumgraphiken können Abläufe veranschaulichen; Baumgraphiken implizieren gerne eine Rangordnung (am Stamm = gut; bei den Verzweigungen = schlechter). |
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Objekte und Strukturen, die mit Baumgraphiken visualisiert werden
Nicht-taxonomische und nicht-genealogische Bäume:
Je nach Objekttyp können die Arten der Verzweigungen und die Funktionen verschieden sein. |
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• Objekt: GenealogieZwei Typen sind zu unterscheiden: Die Ahnentafel listet ausgehend von einer Person die Vorfahren auf — der Stammbaum listet ausgehend von einer Person die Nachkommen auf. Funktionen:
Eine der Anregungen, Familienabstammungen als Baum darzustellen, stammt (!) aus der Metapher von der Wurzel Jesse: Biblische Grundlagen: Jesaja 11, 1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. – 11,10 Und es wird geschehen zu der Zeit, dass das Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. – Jesaja 53, 2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. – Römer 15,12 bezieht die Jesaias-Stelle explizit auf Jesus Christus: Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.« – Apokalypse 22, 6 Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen für die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, Die Kirchenväter bauen diese Vorstellung aus. In Bildwerken ist die Vorstellung oft anzutreffen.
In der Bibel sind Stammbäume immer wieder wichtig. Beispiel: Genesis 10,2ff. die Familie von Japhet, hier in der Darstellung der Schedelschen Weltchronik (1493), fol XVI recto (hier ist die Wurzel oben): Adlige brauchen früh Stammbäume / Ahnentafeln, weil mit der Genealogie auch Herrschaftsansprüche verbunden sind.
Die Juristen erarbeiteten abstrakte Verwandtschaftsrelations-Graphiken (arbor consanguitatis), die aussehen wie Bäume. (J. Depn. 2010) In den »Etymologiae« Isidors von Sevilla (um 560-636) IX,vi: De agnatis et cognatis Text und Graphik [www Bibliotheca Augustana] finden sich im Anhang an die Kapitel über Verwandtschaften schematische Tafeln, anhand welcher die Stellung einer Person zu einem bestimmten Verwandten abgelesen werden kann. Grundlegend für diese Abbildungen ist die Anordnung abstrakter Verwandtschaftsverhältnisse in einer stilisierten Baumform, oft dargestellt als Dreieck mit einem Stamm. Vorfahren (Aszendenten) und Nachkommen (Deszendenten) bilden eine direkte Linie, in der Regel den Stamm, von welchen wiederum deren Deszendenten als Linien abgehen. Die Entfernung zur Person wird in der Regel in Graden angegeben, was durch römische Ziffern markiert wird. Das Bild des Baumes zur Veranschaulichung der sich ausbreitenden Familie mag zunächst naheliegen, wird jedoch in der Darstellung der Genealogie entweder auf den Kopf gestellt (ausgehend von der Spitze des Baumes, nicht von den Wurzeln) oder widerspricht in anderer Weise dem natürlichen Wachstum (das ego befindet sich in der Mitte des Baumes, die Familie breitet sich sowohl in die Baumkrone als auch zu den Wurzeln hin aus). Die Funktion der Verwandtschaftstafeln lag nur sekundär in der semantischen Erläuterung von Verwandtschaftsgraden. In erster Linie dienten sie als praktisches Hilfsmittel, entweder im Erbrecht oder im Eherecht. Da im römischen Recht nicht die natürliche Blutsverwandtschaft (cognatio oder consanguinitas) ausschlaggebend war, welche auch durch Frauen begründet sein konnte, sondern die Gewaltverwandtschaft (agnatio), d.h. die Blutsverwandtschaft väterlicherseits, wurde hierfür ein eigener Darstellungstyp entwickelt. Dieser hebt sich in seiner Gestaltung ab, indem die Ausgangsperson (ipse) an die oberste Stelle gesetzt wurde. Vgl. hier. Da im Mittelalter Verwandtschaft als wichtiges Ehehindernis dienen konnte, war die Baumdarstellung schliesslich für die Kleriker, die für das Eherecht zuständig waren, von grosser Bedeutung. Allerdings findet sich die richtige Benennung des 6. und 7. Grades der Deszendenz nur in den wenigsten Handschriften, stattdessen ist eine gewisse Variation auszumachen. Auch zwischen den frühen Codices und der Druckversion von 1489 lassen sich Differenzen finden. So zeigt der Inkunabel-Holzschnitt das Individuum in einer zentralen Position sowie daneben dessen Schwester und Bruder (frater und soror). In den Zeichnungen mehrerer Codices dagegen wurde das Ich (ego) oftmals ausgelassen – und somit auch dessen Geschwister sowie deren Nachkommen. Vgl. hier.
Max CONRAT (Cohn), Arbor iuris des früheren Mittelalters mit eigenartiger Komputation, in: Abhandlungen der königlichen preussischen Akademie (Philosophische-historische Classe, 1909), Anhang, Abhandlung II. Digitalisat [www archive.org] Hermann SCHADT, Die Darstellungen der Arbores Consanguinitatis und der Arbores Affinitatis, Tübingen: Verlag Ernst Wasmuth 1982. Johann Amos Comenius (1592–1670) verwendet in seinem »Orbis sensualium pictus« (1658) einen Sipschafft-Baum für einen anderen Zweck, nämlich um die Bezeichnungen für die Verwandtschaft zu visualisieren:
Giovanni Boccaccio (1313–1375) hat in seiner »Genealogia Deorum« Götterstammbäume gezeichnet.
Aber nicht nur Familien haben ihre Stammbäume; auch voneinander abgeschriebene Handschriften haben eine ›Deszendenz‹. In der Textkritik ist die Erstellung eines Stemmas eine Königsdisziplin. (Aber wehe, wenn eine Abschreiberin ihren Text aus zwei Handschriften zusammengestoppelt hat... dann gibt es keine Verzweigung, sondern an zwei Zweigen hängt éine Frucht.)
Auch die Derivate von Stoffen lassen sich so darstellen:
Ein schönes Beispiel ist die Visualisierung der Evolution der Architekturstile:
Man kann mit einer Baum-Graphik auch Geschichte visualisieren (jedenfalls, solange man nicht damit rechnet, dass sich einzelne Abkömmlinge miteinander kreuzen ...). Vgl. Britta Orgovanyi-Hanstein. Als Plattencover mag es hingehn:
Literaturhinweise: Christiane KLAPISCH-ZUBER: Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde. Übersetzt von Egbert Baqué. München: Knesebeck 2004. Daniel ROSENBERG / Anthony GRAFTON, Cartographies of Time. A History of the Timeline, Princeton Architectural Press 2010. |
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• Objekt: Die Ordnung der NaturDie bunte Fülle des Lebendigen zu ordnen ist ein uraltes Anliegen. Lange dominierten Stufenleiter-Modelle: Vom primitivsten Lebewesen (Amöben, Polypen) über Fische – Lurche – Vögel – Säugetiere – bis hinauf zum Menschen. So ordnen mittelalterliche Enzyklopädien (Bartholomaeus Anglicus, »De proprietatibus rerum«, nach 1235), und dieses Modell verwendet 1779 noch Charles Bonnet. – Ende des 17. / Anfang 18. Jh. begann man, neue Systeme zu entwickeln. Carl von Linné (1707–1778) Die Klassifikation beruht bei Linné auf morphologischen Kriterien (bei den Pflanzen auf Verschiedenheiten des Baus der Blüte); ›natürlich‹ heisst das System, weil Leute wie Linné der Meinung waren, die vom Schöpfer in die Kreaturen hineingelegte Ordnung aufzuzeigen.
Charles Darwin (1809–1882) Darwin denkt nicht morphologisch, sondern phylogenetisch, d.h. seine Graphik will die stammesgeschichtliche Entwicklung abbilden.
Das Schema zeigt – im Gegensatz zu älteren Vorstellungen – keine Stufenleiter der Lebewesen, sondern visualisiert die Idee, dass
An einer anderen Stelle (B 25, S. 177 der modernen Edition; Bredekamp Anm. 47) sagt Darwin: The tree of life should perhaps be called the coral of life. Logisch gesprochen ist es ein gerichteter Graph, der nur Abzweigungen und keine Zyklen zulässt, sich mithin als Baum darstellen ließe. Darwin vermeidet indessen in der Skizze die Konnotation von unten/oben und mithin von weniger edel / edler. In der Druckfassung von »The Origin of Species« (1859) ist die Graphik [www wikimedia <Mai 2010>] dann aber in die zeitliche Dimension gestreckt, so dass sie das Aussehen eines Baumes bekommt. Moderne Darstellung [www Wikipedia <Mai 2010>] eines phylogenetischen Baums. Ernst Haeckel (1834–1919)
Haeckel, der Popularisator Darwins, hat dessen Schema zu einer knorrigen Eiche mit ausgeprägeter Sprossachse konkretisiert. An der Spitze des Baums: der Homo Sapiens als Kulminationspunkt der Evolution. Das ist nicht im Geiste Darwins, nach dessen Meinung alle existierenden Lebewesen (Bakterien, Pilze, Molche, Gorillas gleichermaßen) fit for the struggle of life sind, sonst wären sie ja ausgestorben. Literaturhinweise: Horst BREDEKAMP, Darwins Korallen. Die frühen Evolutionsdiagramme und die Tradition der Naturgeschichte, Berlin: Wagenbach 2005. Julia VOSS, Darwins Bilder. Ansichten der Evolutionstheorie 1837–1874, Frankfurt am Main: Fischer 2007 (Fischer-Taschenbuch 17627); bes. S. 95–174. Geologie Auch in anderen Gebieten sind Baumgraphiken anzuwenden versucht worden. Hier handelt es sich eher um ein Prozess-Diagramm, bei dem einzelne Zweige wieder begrifflich miteinander verbunden sind. (Konglomerate gibt es bei der biologischen Abstammung nicht.)
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• Objekt: Die ganze WeltPlato und seine vielen Nachfolger wollten einen metaphysischen Weltzusammenhang aufzeigen, indem sie darlegten, wie aus dem Einen (der Idee) das Viele (die wirklichen Dinge) hervorgehen. Dazu haben sie eine Zergliederungstechnik entwickelt (dihairesis, vgl. den entsprechenden Artikel in der Wikipedia [www, seit 2012 im Netz]) Porphyrios (ca. 234 – 301/305) verfasste eine Einführung in die Kategorien-Schrift des Aristoteles, die im Mittelalter in der lateinischen Übersetzung des Boethius (um 480 – 524) rezipiert und nochmals mehrfach kommentiert wurde. Für unsere Belange ist folgende Passage wichtig:
Der Text lässt sich in Gestalt eines Baumes visualisieren. Im Neuplatonismus sind solche Taxonomien öfters anzutreffen. Hier aus Philo von Alexandrien (um 25 vor – um 40 u. Z. ) »Über die Frage: Wer ist der Erbe der göttlichen Dinge« ( § 133ff.), graphisch umgesetzt: Seit Petrus Hispanus († 1277) ist für diese Denkform der Terminus arbor porphyriana gebräuchlich. Hier eine historische Visualisierung: Von oben (genus generalissimum) nach unten (individua, supposita, singularia; das sind z.B. Socrates oder Plato) zu lesen: Jede Verzweigung stellt eine spezifische Differenz dar, z.B. bei den Lebewesen (vivens) zwischen empfindenden (sensibile) und empfindungslosen (das sind die Pflanzen). Die rechts erscheinenden Begriffe (im Beispiel: insensibile) werden nicht weiter unterteilt; hier brechen gleichsam die Äste ab. Die links erscheinenden Begriffe (im Beispiel: sensibile) führen eine Etage weiter (nach unten), das heisst zur tieferrangigen Gattung (genus subalternum); dazu wird im Holzschnitt der Inkunabel der abgehende Ast seltsamerweise wieder zum Stamm zurückgebogen (im Beispiel: sensibile führt zu animal). Hier wird im gleichen Sinne weiter unterteilt (animal rationale vs. irrationale). Nur zuunterst gehen – systemwidrig – zwei Zweige direkt vom Stamm ab (von animal: asinus und leo). Auch die Zeichnung der Wurzeln im Bild unten ist genaugenommen falsch. In platonischen Systemen ist die Wurzel des Seins oben.
Literaturhinweise: H. PETERS, Artikel ›Dihaerese‹ in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. v. Gert Ueding, Bd. 2, Darmstadt 1994, 748–753. Artikel »Arbor porphyriana« und »Begriffspyramide« in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hg. Jürgen Mittelstraß, Mannheim: Bibliographisches Institut, Band I (1980). |
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• Objekt: Wissenschaftliche DisziplinenIntellektuelle waren offenbar immer schon bemüht darzustellen, dass das von ihnen verwaltete Wissen nicht ein loser Haufe ist, sondern einen ordnungsgemäßen Zusammenhang hat. Eine Möglichkeit, dies auszudrücken, ist die Verwendung eines Baumgraphen. Nach Alcuin (735–804) lässt sich die Philosophie so gliedern:
Gregor Reisch (gest. 1525) zeigt auf dem Titelbild seiner Enzyklopädie »Margarita philosophica«, wie die verschiedenen Disziplinen aus dem Schoße der Philosophie hervorwachsen. Es gibt zwei Typen: • als Blätter erscheinen die sieben freien Künste (Grammatik, Logik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik) Die turba philosophorum (die ›Menge der Philosophen‹, vorne in der Mitte unten) lässt sich von der Philosophie unterweisen, die ihren Zuhörern ein aufgeschlagenes Buch entgegenhält, während sich die Doctores ecclesiastici (hinten rechts) der Offenbarung der Dreieinigkeit (Strahlen durch die Hülle der Wolken) zuwenden. Aufgrund der Kopfbedeckungen lassen sich die vier Figuren den vier Kirchenvätern zuordnen (Tiara > Papst Gregor; Kardinalshut > Hieronymus; zwei Bischofsmitren > Ambrosius und Augustinus). Reisch hat sich wohl von der Ikonographie der Wurzel Jesse anregen lassen.
Den Herausgebern der »Encyclopédie« war klar, dass die alphabetische Anordnung die Zusammenhänge zerreisst. Um die Zusammenhänge der Materien zu bewahren, nutzen sie einerseits die Querverweise, anderseits stellen sie in einer großen Tafel die Zusammenhänge der Disziplinen in einer Baumgraphik dar.
Die Basisverzweigung in die drei Stämme beruht auf einer psychologischen Grundlage, die von Francis Bacon angeregt ist: Die drei menschlichen Fähigkeiten Mémoire – Raison – Imagination geben das Einteilungsprinzip für die drei Hauptdisziplinen Histoire – Philosophie – Poésie ab. Für die erste Ausstelllung »Science et Cité« (2001) verfertigte unser Team als Eye Catcher im Zürcher Hauptbahnhof diesen Baum: Der durfte dann im Institutsgebäude des Deutschen Seminars der Uni Zürich (Schönberggasse 9) an einer Wand im Flur weiter gedeihen, bis er im Februar 2024 "aus feuerpolizeilichen Gründen" entfernt wurde. |
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• Objekt: Lemmata (bzw. Wissensobjekte) in EnzyklopädienEnzyklopädien waren – abgesehen von einigen Spezialgebieten – bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein kaum je alphabetisch geordnet, sondern nach Sachen. Das hat gewisse Vorteile: Zusammengehöriges wird nicht getrennt: Sonne, Mond, Sterne, Planeten, Kometen, Galaxien werden alle am Zweig ›Astronomie‹ angebunden. – Information kann auch gefunden werden, ohne dass man die Terminologie genau kennt, unter der sie abgelegt wurde. So ist auch relativ offenes Suchen möglich. – Durch die Angabe des Orts in der Taxonomie werden Zusatzinformationen über die Sache gegeben (in welche Kategorie sie gehört). – Ein taxonomisches System im Gegensatz zu einem alphabetischen ist sprachunabhängig. Am umfänglichsten hat in Baumgraphiken umgesetzte Taxonomien Theodor Zwinger (der Ältere, 1533–1588) in seinem »Theatrum Vitae Humanae« verwendet. (Erste Auflage 1565; letzte zu Zwingers Lebzeiten erschienene Ausgabe: 1586/87 mit 4372 Seiten Text in Folio). Jedes Buch (Groß-Kapitel) ist mit einem – als Findehilfe gedachten – Baum-Graphen versehen, an dessen Zweigen die Titel der Kapitel stehen, in denen die Objekte enthalten sind. Auf der Buchseite steht links das Allgemeine, in Leserichtung nach rechts gelangt man zu immer Speziellerem. Die Unterscheidungskriterien bei den Verzweigungen sind der rhetorischen Topik entnommen: ganz / teilweise; gewiss / unsicher; einfach / mit einer Bedingung versehen;
Auch andre Enzyklopäden verfahren so. Hier ein Beispiel aus dem – an sich alphabetisch organisierten – Buch von Mirabelli / Joseph Lange:
In diesem Zusammenhang ist zu nennen: Johannes Henrich Alsted (1588–1638), »Encyclopaedia, septem tomis distincta« Herborn 1630, dessen Werk ebenfalls mit taxonomischen Tafeln erschlossen werden will.
Literaturhinweise: Paul MICHEL, Verzweigungen, geschweifte Klammern, Dezimalstellen. Potenz und Grenzen des taxonomischen Ordnungssystems von Platon über Theodor Zwinger bis Melvil Dewey, in: Allgemeinwissen und Gesellschaft, hg. von Paul Michel / Madeleine Herren / Martin Rüesch, Aachen: Shaker Verlag 2007, S. 105–144. hier auf dieser Homepage [pop-up] Ann M. BLAIR, Too Much to Know. Managing Scholarly Information before the Modern Age, New Haven [u.a.]: Yale University Press 2010. |
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• Objekt: Bibliotheken und SammlungenUm an gesuchte Sammlungsgegenstände oder Bücher heranzukommen, bedient man sich entsprechender Findehilfen. Das können alphabetisch geordnete Zettelkästen sein oder systematische Verzeichnisse. Es sei hier nur ein epochemachendes System erwähnt. Melvil Dewey (1851–1931) benützte in seinem 1876 erschienenen System »A Classification and Subject Index for Cataloguing and Arranging the Books and Pamphlets of a Library« eine typographisch leicht zu realisierende Form, die Dezimalklassifikation. Das gesamte menschliche Wissen wird in zehn Abteilungen zerlegt; jede Abteilung weiter in höchstens zehn Unterabteilungen usf. Jede Abteilung ist durch eine arabische Ziffer (0 bis 9) repräsentiert; jede rechts angefügte Ziffer bedeutet eine Unterabteilung.
Eine Unterscheidung in der letzten Ziffer entspricht im Baumgraphen einer Verzweigung; kommt eine Ziffer dazu, so gelangt man von einem Ast zu einem feineren Zweig. Das System kommt bald an seine Grenzen, weil die Sachgebiete eines Buches sich i.d.R. unter verschiedenen Rubriken einreihen lassen: Aceton ist ein chemischer Stoff und gehört deshalb unter 547.284.3 eingereiht, aber auch ein technisches Lösungsmittel, und gehört als solches unter 66.062.822.1. Dewey-Suche [www DNB] oder hier [www gutenberg.org] |
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• Objekt: Ausdifferenzierung in der Entwicklungsphysiologie»Die Keimplasmatheorie Weismanns am Beispiel der vorderen Extremität erläutert. Die ›Ur-Knochenzelle‹ hat ein Idioplasma, das die Determinanten 1–35 für alle folgenden Knochenzellen enthält. Bei den Zellteilungen werden die Determinanten gesetzmäßig verteilt.« (Heinz Penzlin in: Ilse Jahn (Hg.), Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, 3. neu bearb. Aufl. 1998; Heidelberg: Spektrum 2000; S. 443.)
Weismann S. 136:
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• Objekt: Wasserverteilung
Bei Q hat man sich die Quelle (oder das Reservoir) zu denken, von dort wird das Wasser durch Rohre von verschiedenem Durchmesser verteilt zu den mit Zahlen numerierten Endverbrauchern. Die ›Verästelungen‹ repräsentieren die Struktur der Leitungen. Die Strichdicke repräsentiert die Wassermenge, mithin den Rohrdurchmesser |
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• Objekt: EntscheidungsprozesseWenn eine Flow Chart Entscheidungen visualisieren soll, wird sie automatisch zu einem Baum. Hier ein Ausschnitt aus dem Leben eines Studenten (Single) am Sonntagnachmittag:
Zu bedenken ist, dass sich bei Flussdiagrammen auch Schlaufen (loops) ergeben können: ›Wenn X nicht, dann zurück auf Feld B‹. Dann sieht die Struktur nicht mehr aus wie ein natürlicher Baum.
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• Objekt: Organisation, HierarchieOrganigramme, die eine Hierarchie visualisieren, gibt es unendlich viele. Sie lassen sich mit modernen Office-Programmen leicht erzeugen. Weil wir bei Hierarchien die Befehlsgewalt von oben nach unten imaginieren (vgl. die metaphorischen Ausdrücke ›der Untergebene‹, ›das Oberhaupt‹), haben diese Baumstrukturen die Wurzel oben. |
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• Objekt: Tugenden und LasterTraditionellerweise werden sieben Tugenden und sieben Todsünden genannt:
Eine bloße Liste scheint aber moraltheologischen Bestrebungen nicht zu genügen. Der psychologisch feinsinnige Kirchenvater Johannes Cassianus († 430/35) lehrt, dass die einzelnen Sünden miteinander verkettet sind, so dass das Übermaß der einen das Entstehen der folgenden bewirkt:
Die Vorstellung eines Baums ist entwickelt aus der Metapher Denn die Gier ist eine Wurzel alles Bösen (1 Timoth 6,10) und Die Gottesfurcht ist die Wurzel der Weisheit (Ecclesiasticus 1,25) unter Einbezug des Gleichnisses von den guten und schlechten Früchten (Mt 7,15–20). Tugend- und Lasterbäume gibt es in mittelalterlichen Handschriften oft. Ein Hugo von Sankt Viktor († 1141) oder Konrad von Hirsau zuzuschreibender Traktat »De fructibus carnis et spiritus« aus den Jahren um 1130 (PL 176, 997–1010) entwickelt die Vorstellung weiter:
Weitere Beispiele zum Anklicken:
Raimundus Lullus (1232–1316) stellt einen doppelten Baum der Tugenden (linker Stamm) und Laster (rechter Stamm) dar. Die Früchte der Tugenden sind die Gloria, diejenigen der Laster: Poena (die Höllenstrafen). Er setzt die Bildlichkeit fort: Wurzeln wie Stultitia (Dummheit) nähren den Lasterstamm; Sapientia den Tugendstamm.
Eine säkulare Variante ist der Baum der »Ligue Nationale contre l’Alcoolisme« (Zeichnung wahrscheinlich von Jacques Souirau, 1886–1957), der die Folgen des Alkohol-Exzesses visualisiert (mehrfach im Internet zu finden): Literaturhinweise: Eleanor Simmons GREENHILL , Die geistigen Voraussetzungen der Bilderreihe des Speculum Virginum. Versuch einer Deutung, Münster, Westf.: Aschendorff 1962 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 39,2). Eckart Conrad LUTZ, Spiritualis Fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein »Ring«, Sigmaringen 1990; S. 252ff. und Abb. 16–23. |
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• Objekt: Einschachtelung (Merologie)Der logische Konnektor ›a und b sind enthalten in K‹ lässt sich – vor allem wenn damit größere Strukturen dargestellt werden sollen – als Baumgraph darstellen. Vgl. die Artikel Merologie [www Stanford Encyclopedia of Philosophy] oder Meronymie [www deutsche Wikipedia] <11.10.12>. Die intuitiv anschaulichere Visualisierung wäre hier eine Darstellung mittels eines Venndiagramms.
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• Objekt: Karriere (Bäume zum Hochklettern)Bäume dienen auch als Leitern; man kann mit ihrer Hilfe hochklettern. So kann man auch das Wissen um die ›Stufen‹ des Aufstiegs als Baum visualisieren und damit den Rezipienten einprägen. Bei diesen Bäumen geht es also nicht um das Prinzip der Verzweigungen. Hier handelt es sich um eine andere Art von Wissen als bei den Wissensobjekte strukturierenden Bäumen: um handlungspraktisches Wissen. Die Äste veranschaulichen dem Betrachter, wo er steht und wohin er noch gelangen soll. Während die Taxonomien visualisierenden Bäume sich von selbst aus der logischen Struktur ergeben, wenn man diese mit Strichen (oder Pfeilen) und Knoten aufzeichnet, beruhen die Aufstiegs-Bäume auf einer Metapher. Es gibt eine Reihe von Traktaten und Predigten, die sich dieser Aufstiegs-Symbolik bedienen: zum Beispiel die »Arbor Amoris«-Texte:
Das Baumschema zeigt folgendes:
Johann Geiler von Kaysersberg (1445–1510) hält eine Predigt anlässlich der Szene, wo Zachäus auf den Baum steigt, um Jesus zu sehen. Basistext ist Luk 19,1–10: Und er [Jesus] ging hinein und zog durch Jericho. Und siehe, da war ein Mann, mit Namen Zachäus, und selbiger war ein Oberzöllner, und er war reich. Und er suchte Jesum zu sehen, wer er wäre; und er vermochte es nicht vor der Volksmenge, denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, auf daß er ihn sähe; denn er sollte daselbst durchkommen.
Die Handlungsweise des Zachäus wird moralisch fruchtbar gemacht. Die sieben Äste des Baums sind numeriert. Text zum Holzschnitt:
Literaturhinweise: Urs KAMBER, Arbor amoris. Der Minnebaum. Ein Pseudo-Bonaventura-Traktat, hrsg. nach lat. und dt. Hs. des 14. und 15. Jahrhunderts, Berlin: Schmidt 1964 (Philologische Studien und Quellen 20). Wolfgang FLEISCHER, Untersuchungen zur Palmbaumallegorie im Mittelalter, München: Fink 1976 (Münchner germanistische Beiträge 20). Moritz WEDELL, Zachäus auf dem Palmbaum. Enumerativ-ikonische Schemata zwischen Predigtkunst und Verlegergeschick (Johannes Geiler von Kaysersberg: Predigen Teütsch, 1508, 1510), in: Die Predigt im Mittelalter zwischen Mündlichkeit, Bildlichkeit und Schriftlichkeit / La prédication médiévale entre oralité, visualité et écriture, ed. R. Wetzel, F. Flückiger (Reihe: Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 13), Zürich 2010, S. 261–304. |
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• Objekt (Pseudobaum): SpielpläneKompetitive Spiele von je zwei Parteien (Fußball, Tennis, Schach u.ä.) werden oft nach der sog. K.-o.-Turnierform organisiert (auch: Single elimination); die Pläne zeigen, welcher Sieger gegen welchen spielt. Hierbei handelt es sich um Graphiken, die zwar äusserlich aussehen wie Bäume, denen indessen weder die Baum-Metapher zugrundeliegt noch die der Verzweigung; im Gegenteil: zwei ›Zweige‹ führen jeweils zusammen. Eine symmetrisch angeordnete Graphik (hier nicht sichtbar) führt nach links zum Sieger dieser Gruppe, so dass die Finalisten einander direkt gegenüber stehen.
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Die Logik von Verzweigungen in BaumgraphenWas bedeutet links – rechts? D.h.: Was wird bei der Verzweigung entschieden? D.h.: Aufgrund welchen Charakteristikums wird die Objektmenge aufgeteilt? Was bedeutet oben – unten? D.h.: Wohin gelangt man, wenn man einer Verzweigung (vom Stamm zu einem Ast zu einem Zweig zu einem Blatt oder einer Frucht) folgt? Je nach Gebiet bedeuten diese Kriterien etwas anderes.
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Anforderungen an eine TaxonomieTaxonomie von griech. taxis ›Ordnung, Rang, Stellung, Einrichtung‹ und nomos ›Regel, Gesetz‹.
Nicht alles lässt sich taxonomisch ordnen. Familienverwandtschaften und Stammbäume im Tierreich sind ein glücklicher Ausnahmefall, weil hier immer nur Verzweigungen vorliegen (schon Pferd und Esel lassen sich nur mit Mühe kreuzen). Alle, die als Jugendliche einmal eine Briefmarkensammlung anlegen wollten, kennen das Problem. Ich habe die Kategorien: berühmte Personen – Vögel – Länder. Beginne ich nun beim Ordnen mit einer Verzweigung Vögel vs. Personen, so sind in beiden Kategorien: Marken aus der Bundesrepublik und der Schweiz. Beginne ich mit einer ersten Verzweigung zwischen den Ländern, so sind in beiden Kategorien: Vögel und Personen. Wie ich es auch anlege, ist es falsch. Abhilfe schafft hier nur eine Matrix-Darstellung.
Die Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Spielen besteht also nicht in Eigenschaften, die allen Spielen gemeinsam wären; anderseits bilden die Spiele aber auch kein bloßes Konglomerat von willkürlich so benannten Tätigkeiten. Graphisch wird das gerne so dargestellt:
Der Objektbereich der Spiele (und die Spiele sind nur ein Modellfall) lässt sich nicht mittels der Methode von ›genus proximum‹ und ›differentia specifica‹ gliedern; damit wird für gewisse Bereiche die Organisation des Wissens mittels Dihairesis-Bäumen obsolet. Vgl. den Artikel ›Familienähnlichkeit‹ von Hans-Johann GLOCK, Wittgenstein-Lexikon, Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 2001, S. 107ff. |
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Literaturhinweise(soweit nicht oben am einschlägigen Ort zitiert) Jörg Jochen BERNS, Baumsprache und Sprachbaum. Baumikonographie als topologischer Komplex zwischen 13. und 17. Jahrhundert. In: Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. v. Kilian Heck und Bernhard Jahn. Tübingen: Max Niemeyer, 2000 (Studien u. Texte z. Sozialgesch. d. Literatur, Bd. 80). S. 155–176 u. 230–246. Steffen SIEGEL, Wissen, das auf Bäumen wächst. Das Baumdiagramm als epistemologisches Dingsymbol im 16. Jahrhundert. In: Frühneuzeit-Info 15 (2004), S. 42–55. Paul MICHEL, Verzweigungen, geschweifte Klammern, Dezimalstellen. Potenz und Grenzen des taxonomischen Ordnungssystems von Platon über Theodor Zwinger bis Melvil Dewey, in: Allgemeinwissen und Gesellschaft, hg. von Paul Michel / Madeleine Herren / Martin Rüesch, Aachen: Shaker Verlag 2007, S. 105–144. hier auf dieser Homepage [pop-up] The tree. Symbol, allegory, and mnemonic device in medieval art and thought, ed. by Pippa Salonius and Andrea Worm, Turnhout: Brepols 2014 (International medieval research; vol. 20). Liselotte STAUCH / Walter FÖHL, Artikel »Baum«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 63–90; > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89992 Marcus CASTELBERG, Wissen und Weisheit: Untersuchungen zur spätmittelalterlichen ›Süddeutschen Tafelsammlung‹ (Scrinium Friburgense Band 35) de Gruyter 2013 – Tugend und Lasterbaum S. 129–173 und Abbildungen. |
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Epilog
Die Präsentation beruht auf einem Vortrag von Paul Michel im Kulturraum St. Gallen vom 23.9.2009; ins Netz gestellt im Mai 2012. Diverse Ergänzungen und Korrekturen Oktober 2012 bis Mai 2020. |
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