Bild-Text-Verknüpfungen

     
 

Wie werden Bilder mit Texten verknüpft?

Wenn der Illustrator nicht mit einem Wiedererkennungs-Effekt beim Betrachter rechnen kann, muss er verbal ausdrücken, was das Bild darstellt. Ebenso wenn semantisches Wissen anhand von Bildern vermittelt werden soll, (z.B. in Bildwörterbüchern). — Umgekehrt: Wenn der Text-Verfasser eine Imagination des Gemeinten geben will, kann er ein Bild zum Text setzen, muss aber einen Bezug herstellen.

Es gibt verschiedene Techniken, wie Bilder / Bildteile mit Texten / Wörtern verknüpft werden können; und es gibt verschiedene logische Bezüge zwischen den beiden medialen Darbietungsformen.

Aufbau des Artikels:

Wie wird der Bezug formal realisiert?

Bild-Text-Verknüpfung durch Überschrift und/oder Kontext (1)

Bild-Text-Verknüpfung mittels Legenden (Techniken 2 – 6)

Der Text bildet das Bild (mit) (Technik 7)

Logik der Verknüpfung

Bild und Text machen dieselbe Aussage

Der Text benennt, was im Bild dargestellt ist

als ganzes

im Detail

Der Text besagt, wie man das Bild verwenden soll

Der Text führt das im Bild Dargestellte erläuternd weiter

Bild und Text verstärken die Information gegenseitig

Bild und Text stehen in einem Spannungsverhältnis

Text benennt, was eine Figur im Bild sagt oder denkt: ›Sprechblasen‹ mit dem Spezialfall, dass der Text seinerseits durch ein Bild ersetzt ist.

Drei Unterkapitel

Spezialfälle (Allegorie u.ä.)

Geschichte; Wissensgebiete

Andere Kulturen

Literaturhinweise

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Wie wird der Bezug formal realisiert?

In vielen Fällen genügt es, das Bild mit einer Überschrift zu versehen (es zu ›rubrizieren‹) oder im eindeutigen Kontext erscheinen zu lassen. Der Text im Umfeld des Bildes kann verbal Bezüge zum Bild und seinen Teilen herstellen.

Wenn Teile eines mimetisch abgebildeten Objekts oder einer diagrammatischen Visualisierung im Focus des Interesses stehen, oder wenn auf einer Bildtafel viele Einzelbilder dargeboten werden (vgl. das Kapitel Bildvielheit), müssen diese verbal benannt werden. Die bevorzugte Technik der Bild-Text-Verknüpfung besteht hier darin, eine explizite Bildlegende beizugeben.

Zur Herkunft der Wörter: Legenda = lat. ›wie man es lesen muss‹ – Caption: especially in U.S., ›description or title below an illustration‹ (1919) – Label: oldest use is as a technical term in heraldry; general meaning ›tag, sticker, slip of paper‹ affixed to something to indicate its nature, contents, destination, etc. (http://www.etymonline.com)

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Verknüpfungs-Technik 1

Der Text steht außerhalb des Bildes; im Gegensatz zu den anderen Techniken, wo er ins Bild eingreift.

Hier der Fall, wo das Bild mit einer Überschrift versehen ist:

Icones avium omnium, quae in Historia avium Conradi Gesneri describuntur. Cum nomenclaturis singulorum latinis, italicis, gallicis et germanicis plerunque, per certos ordines digestae = I Ritratti e le figure de gli ucelli = Les Figures & pourtraictz des oiseaux = Die Figuren und Contrafacturen der Vögeln, Tiguri: excudebat C. Froschoverus, anno 1555; pag. 22 > http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-4877

Hier der Fall, wo das Bild im Kontext erläutert wird:

Sebastian Münster erzählt von der Gründung Galliens. Der aus Troja stammende Marcomirus bekommt beim Opfer den Hinweis, wo er sich mit seinem Volk niederlassen soll. Außerdem wird er durch eine zauberin oder hex Alruna genant darin bestätigt. Diese bracht mit jrer zauberey zuowegen das by nacht dem künig Marcomiro ein Abgott erschyn mit dreyn köpffen/ ein kopff was eins adlers kopff/ der ander ein krotten kopff/ vnnd der dritt ein löwen kopff. Der adler sprach/ O Marcomire dein geschlecht wirt mich vndertrucken/ vnd wirt den löwen vndertretten vnd die krott tödten. Er meynt das seine nachkommende wurden herschen über die Frantzosen/ über die Römer/ vnnd über die Teütschen. Dann die krott bedeütet die Frantzosen […]

Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker Herrschafften, Stetten vnnd namhafftiger flecken / härkommen…. Allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit einem zuogelegten Register vil breüchlicher gemacht. Basel: Heinrich Petri 1546. Pag. lxxi.

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Verknüpfungs-Technik 2

Die sprachlichen Elemente sind direkt ins Bild eingefügt, in welchem sie Einzelteile benennen.

• Gregor Reisch beschreibt das Auge. Es besteht aus vier Häuten und drei Flüssigkeiten. Die erste Hülle heißt vereinende (im Bild bezeichnet: Coniunctiva Septi | ma tunica) …; den hinteren Teil davon nennt man die harte Hülle (sclerotica) …; als nächstes folgt die Hornhaut (cornea | sexta), sie ist durchsichtig, um die Bilder durchzulassen …; nach dieser kommt die traubige Haut (uvea perfora | ta quinta tu.) …; ihren äußersten Teil nennt man secundina; usw.

Gregor Reisch, Aepitoma omnis phylosophiae. Alias Margarita Phylosophica tractans de omni genere scibili, Freiburg: Joh. Schott 1503; Buch X; Tract. II, Kapitel 9. > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00012346/images/

Vgl. die Übersetzungen von Sachiko Kusukawa / Andrew R. Cunningham, Natural philosophy epitomised: Books 8-11 of Gregor Reisch’s Philosophical Pearl, Aldershot: Ashgate 2010, S.179; und von Otto und Eva Schönberger, Würzburg: Königshausen & Neumann 2016; S.416f.

• Beispiel für einen narrativen Text: Sebastian Brant lässt in der Aeneis-Ausgabe die im Text vorkommenden Figuren mit sog. ›Tituli‹ anschreiben:

Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis […] expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis, Straßburg 1502. Titelblatt der »Georgica«, Fol. XXXIIII recto. – Eine interessante Mischung: Götter (PALLAS, NEPTVNVS, SILVANVS), der für das Gedeihen der Saat zuständige Halbgott TRIPTOLEM9 (Triptolemus, der nicht im Text selbst, sondern im beigegebenen Kommentar des Servius vorkommt); der Dichter (VIRGILI9) und der (ebenfalls nicht im Text vorkommende) Widmungsträger (Kaiser AVGVSTVS).

Zur Deutung des Holzschnitts: Bernd Schneider, ›Virgilius pictus‹. Sebastian Brants illustrierte Vergilausgabe von 1502 und ihre Nachwirkung. Ein Beitrag zur Vergilrezeption im deutschen Humanismus, In: Wolfenbütteler Beiträge Bd. 6 (1983), bes. 208–210.

Viele weitere Beispiele > http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vergil1502

Bereits die Handschrift mit Werken Vergils von ca. 400 enthält solche Tituli. Vgl. den Artikel > https://fr.wikipedia.org/wiki/Vergilius_Vaticanus und das Digitalisat > http://digi.vatlib.it/view/MSS_Vat.lat.3225 (bes. Fol. XXIIr.: ANCHISES – ASCANIUS – CREUSA – AEN[EAS])

• Auch Diagramme können so gestaltet sein. Hier der Baum der Tugenden aus dem »Speculum virginum« (ca. 1330). Aus den ›Fruchtknoten« (z.B. oben rechts spes) wachsen weitere sittliche Haltungen (hier: confessio, longanimitas, patientia, contemplatio, conpunctio, modestia, gaudium) hervor.

> https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Virtues_Speculum_Virginum_W72_26r.jpg

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Verknüpfungs-Technik 3

Von den Einzelteilen des Objekts wird mittels Pfeilen oder Linien auf ihre außerhalb des Bildes liegenden Bezeichnungen verwiesen.

Petit Larousse Illustré. Nouveau Dictionnaire Encyclopédique, publié sous la direction de Claude Augé; cent trente-sixième édition, Paris 1917, s.v. Canon (p. 146)

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Verknüpfungs-Technik 4

Die Einzelteile des Objekts werden im Bild mit Verweisbuchstaben oder -zahlen angeschrieben; in einer Legende werden diese erklärt.

Für Comenius (1592–1670) ist diese Darstellung praktisch, weil er die Legenden in einer mehrsprachigen Tabelle anlegen will und dafür Platz braucht.

Johann Amos Comenius, Orbis Sensualium Pictus […] Die sichtbare Welt / Das ist Aller vornemsten Welt-Dinge und Lebens-Verrichtungen Vorbildung und Benahmung, Nürnberg, Endter 1658.

In der folgenden Darstellung werden Rind, Kalb, Schwein und Ziege in Bezug auf ihre bei der Schlachtung vorgenommene Zerlegung untergliedert. Die durch das schematisch angezeichnete Linienraster unterschiedenen Fleischteile werden in der Legende (mit regionalsprachlichen Varianten) benannt.

Knaurs Konversationslexikon A–Z, hg. Richard Friedenthal, Berlin 1932

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Verknüpfungs-Technik Kombination 3/4

Vom Bildelement führt eine Linie bzw. ein Pfeil zu einem Buchstaben bzw. einer Zahl, und von hier zur Legende.

Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. 4. Auflage von Herders Konversationslexikon. 12 Bände, Freiburg; Band 10, Spalte 488, s.v. Rüstung

Diese Figur zeiget wo die gebrechen an einem Ochsen= oder RindtViehe zu finden und zu sehen seÿen:

Vollständige Hauß- und Land-Bibliothec/ Worinnen Der Grund unverfälschter Wissenschafft zu finden ist/ deren sich bey jetziger Zeit ein Hof- Handels- Hauß- Burgers- und Land-Mann zu seinem reichlichen Nutzen bedienen kan. Abgetheilt in Vier Theil. […] Alles mit vieljähriger Mühe ... gesammlet/ und mit vielen nöthigen Kupffern zum offentlichen Druck verfertiget/ durch Andream Glorez von Mährn, Regenspurg zu Statt am Hof: Heyl 1699/1700; Erster Theil, pag. 67. > https://books.google.ch/books?id=B3FDAAAAcAAJ&pg=PA67

Beispiele aus der Legende: 1. Horn-Bruch oder Hornsehrung — 4. Gedruckter Grad/ oder gequetschter Halß — 10. Verderbt oder versehrt Eingeweyd — 12. Verstopffung des Bauchs — 26. Reissender Stein in der Ruthhen — 31. Die schwinende oder würgende Kröte oder Engwicklung im Halß — 37. Milckicht oder trübe Augen/ oder Augenübelung.

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Verknüpfungs-Technik 5

Wiederholt sich ein Bildelement mehrfach, so werden statt Buchstaben andere nicht-motivierte Zeichen (z.B. geometrische Figuren oder/und Farben) verwendet. Ihre Verwendung wird in einer Legende bekannt gemacht.

Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. 4. Auflage von Herders Konversationslexikon. 12 Bände, Freiburg/Br.: Herder 1931–1935; Band 1 Karte zum Artikel Amerika (Spalten 509/510)

Im Beispiel enthalten die Verweiszeichen zwei Informationen (Warengruppe durch die geometrische Gestalt / Ausfuhrwert durch die Schraffur).

William Smith (1769–1839) erstellte die früheste geologische Karte (1815) und färbte die entsprechenden Gebiete farbig ein. Hier ein jüngeres Beispiel:

Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage, 1902–08.

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Verknüpfungs-Technik 6

Wenn der Graphiker das Bild nicht mit typographischen Zeichen oder Linien stören möchte, kann er die Verweisungen in ein Hilfsbild auslagern.

Variante A: Die (evtl. auch kleinere) kleine in Umriss-Linien gehaltene Kopie trägt die Beschriftungen oder die Ziffern, die zur Legende führen.

Pestalozzikalender 1922, S. 186/187: Panorama des Vierwaldstättersees und Erklärung zum Panorama des Vierwaldstättersees

Pestalozzikalender 1957, S.272f. Erzeugnisse der schweizerischen Baumwoll- und Stickerei-Industrie (Die Verweiszahlen wären auf den gemusterten Stoffen kaum sichtbar.)

Variante B: Über dem Bild liegt eine Transparentfolie mit Verweiszeichen oder Legenden.

Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, 15. Auflage; Band 18 (1934); Tafel Sterne I. II. (Transparentfolie auf der Fotografie etwas nach links weggezogen)

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Verknüpfungstechnik 7

Der Text bildet das Bild (mit)

Johann Helwig (1609–1674) Die Nymphe NORIS in zweyen Tagzeiten vorgestellet […] durch einen Mitgenossen der PegnitzSchäfer. Nürnberg: Gedruckt und verlegt bey Jeremia Dümler 1650.

 

Johann Michael Püchler: Portrait von Martin Luther, um 1680 (Wikimedia commons)

Eine Variante (9,5 x 6.7 cm) vergrößerbar hier > https://www.metmuseum.org/art/collection/search/380419

Literaturhinweise:

Jeremy Adler / Ulrich Ernst: Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike zur Moderne, Weinheim 1987 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 56).

Friedrich Polleross, Schrift-Bilder. Zum Werk des Mikrographen Johann Michael Püchler d. J. (1679–1709) in: Christian Hecht (Hg.): Beständig im Wandel. Innovationen - Verwandlungen - Konkretisierungen = Festschrift für Karl eer zum 60. Geburtstag, Berlin 2009, S. 261–281 und Abb. 1–10.
> http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/1804/1/Polleross_Schrift_Bilder_2009.pdf

Seraina Plotke [1972–2020], Gereimte Bilder. Visuelle Poesie Im 17. Jahrhundert, München: Fink 2009.
> https://digi20.digitale-sammlungen.de//de/fs1/object/display/bsb00092960_00001.html

Klaus Peter Dencker, Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart, Berlin: de Gryuter 2011.

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Das logische Verhältnis von Bild und Text bei Bildtextverbünden

 
     
 

Bild und Text machen dieselbe Aussage

Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, 15. Auflage, Band 16 (1933), s.v. Schluß

Ob die Teilmengeneigenschaft ›einige S sind P‹ sprachlich ausgedrückt wird oder mittels des Diagramms, ist logisch völlig gleichwertig.

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Der Text benennt, was im Bild dargestellt ist

Als ganzes

Knaurs Jugendlexikon, München 1953; s.v. Affen

Im Detail

Werner Kuhn, Unsere Heimat und ihre Nachbarn. Sammlung ›Lebendiges Wissen‹. Ein modernes ABC der Anschauung als reichillustriertes Hilfswerk für Elternhaus und Schule und Haus, Heft 16: Das Gesicht unserer Heimat, Bern: Bubenberg-Verlag 1956; S.14.

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Der Text besagt, wie man das Bild verwenden soll

Wilst wissen wie vil stunden […] der Mond alle nacht scheine/ so must du des Mondes alter gewiß erfaren/ Vnd so du das weißt/ so suche dieselbige Zal des Monds alter inn diser runden Figur in dem ersten vnnd öbersten Circkel / so findestu vnder der Zal des Mondes alter/ Jm zweyten Circkel die stunde/ vnnd in dem dritten die Minuten/ wie lang dieselbe Nacht der Mond scheine.

[Johannes Regiomontanus] Temporal. Dess weytberümpten M. Johan Künigspergers natürlicher Kunst der Astronomey kurtzer Begriff, von natürlichem Eynfluss der Gestirn, Franckfurt [1561] > http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-2188

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Der Text führt das im Bild Dargestellte erläuternd weiter

Knaurs Jugendlexikon, München 1953; s.v. Kupplung

Ein gutes Beispiel ist die Ebstorfer Karte, wo zu den gezeichneten Gebieten längere Texte beigegeben werden.

Vgl. Die Ebstorfer Weltkarte. Kommentierte Neuausgabe in zwei Bänden, hg. von Hartmut Kugler, Berlin: Akademie Verlag 2007 (2 Bände, 1 Faltkarte).

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Bild und Text verstärken die Information gegenseitig

Christian Doelker macht auf eine Möglichkeit der Bild-Text-Kombination aufmerksam, wo die beiden Medien einander ergänzen (Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft, Stuttgart: Cotta 1997, S. 62 mit einem Beispiel von Klaus Staeck). Wenn auch dieser Typ in wissensvermittelnden Publikationen i.e.S. kaum vorkommt, sei er doch erwähnt.

John Heartfield (1891–1968) publizierte in der Arbeiter-Illustrierten Zeitung, Jahrgang XI, Nr. 42 am 16. Oktober 1932 diese häufig zitierte Collage:

Bild: Die hinter dem typisch grüßenden H. stehende Gestalt mit Doppelkinn und Brillantring stellt den Kapitalisten dar; die Kombination der Bilder verdeutlicht, dass H. massive finanzielle Zuwendungen der Industrie empfängt. Dies wird im Medium der Sprache mit dem Motto: »Millionen stehen hinter mir« verknüpft, wobei Millionen durch die abgebildeten Geldscheine einen nicht-wörtlichen Nebensinn bekommt.

Gute Interpretation in: Eckhard Siepmann , Montage. John Heartfield, 3., verb. Auflage, Berlin (West): Elefanten Press Galerie 1977, S. 240–251.

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Bild und Text stehen in einem Spannungsverhältnis

So entsteht ein Knobelspaß, der auf eine andere Ebene führt, wo sich die Sache klärt. Auch diese Bild-Text-Logik ist für wissensvermittelnde Publikationen atypisch.

In der Emblematik des 16. und 17. Jhs. stehen Motto und Bild gerne in einem solchen Verhältnis; das Epigramm klärt dann den Zusammenhang und führt zur Moral.

Das Motto Vbi onus, ibi sonus (Wo ein Gewicht ist, da ist auch ein Ton) zusammen mit dem Bild einer Wand-Uhr irritiert zunächst:

Die Verse darunter machen dann klar, dass nur dann, wenn Gewichte (pondera) die Räder bewegen, die Uhr mit dem Ton der Glocke die Zeit anzeigt; so soll der Mensch mit harter Arbeit Nützliches erbringen.

Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617. (Nachdruck der Ausgabe 1640 hg. W. Harms, Bern / Frankfurt: Lang 1982). Nr. 18

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Der Text benennt, was eine Figur im Bild sagt oder denkt.
›Sprechblasen‹ (1: als Text)

Einen Spezialfall stellen die sprachlichen Äußerungen von im Bild dargestellten Figuren dar. Wir kennen das von den modernen Comic strips / Bandes dessinées (Micky Maus und andere). Die Technik ist älter. Im Mittelalter waren Spruchbänder üblich; der Speech Balloon ist jünger.

Während man die Tituli wohl so zu verstehen hat, dass der Bild-Autor sagt: ›Diese Figur heißt Corydon‹ (in der Erzähltheorie von Gérard Genette: extradiegetisch), sind diese Text so zu verstehen, dass die Figur selbst diesen Text spricht (intradiegetisch).

• Der Prophet Jesaias auf dem Apsismosaik in San Clemente in Rom (12. Jahrhundert) hält eine Schriftrolle, das meint: Er spricht »Vidi Dominum sedentem super solium [excelsum et elevatum, …]« »Ich sah den Herrn auf einem hohen, erhabenen Thron sitzend« (Jes 6,1)

Quelle: Pinterest

• Der Meister von Hohenfurth malt (vor 1350) die Szene der Verkündigung an Maria. Der Engel spricht: »Ave gratia plena. Dominus tecum. [benedicta tu in mulieribus.]« [Der Engel trat bei ihr ein und sagte:] »Sei gegrüßt, du unter den Frauen Begnadete, der Herr ist mit dir.« (Lukasevangelium 1,28)

Quelle: http://www.zeno.org/nid/20004177126

• Der Narr in Thomas Murners (1475–1537) »Narrenbeschwörung« (1512) will Den dryspitz in sack stossen.

Erklärung zum Dreispitz (genaugenommen sind es 4 Zacken in Form eines Tetraeders), ältere Erklärung (DWB): eisen, wie man sie wirft, dasz sie allweg ein spitz ob sich habend.

Die Moral lautet: Der stoßt den dryspitz in den sack | Der me wil thuon dann er vermag. Der aufgeputzte Narr versucht es und sagt dazu »Er muoß dryn«.

Doctor murners narren beschwerung, Straßburg: Mathias Hupfuff 1512 > https://books.google.ch/books?id=QbJeAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Thomas Murners Narrenbeschwörung. Mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar hg. M. Spanier, Halle a.S.: Niemeyer 1894; Nr. 13 und Nr. 51. Das Bild ist übernommen aus Brant, Narrenschiff Nr. 82.

• Das Bild in M. Holtzwarts Emblem (Nr. 67) basiert auf der Anekdote, wonach der makedonische König Philippus, damit er sich in seinem Glück nicht für unsterblich halte, einem Pagen befahl, täglich bei Sonnenaufgang die Worte zu ihm zu sprechen: »Sum mortalis homo«. In der deutschen Übersetzung: Ich Binn eyn Mensch.

Matthias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, sive picta poesis Latinogermanica, das ist eingeblümete Zierwerck oder Gemälpoesy innhaltend allerhand Geheymnußlehren durch kunstfündige Gemäl angepracht und poetisch erkläret, Nun erstmals inn Truck kommen, Straßburg 1581; hg. Peter von Düffel / Klaus Schmidt, (RUB 1968), Stuttgart 1968. > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00028624/image_7

• Auch Tiere sprechen in ›Sprechblasen‹. Sebastian Brant verwendet im »Narrenschiff« (1494) (Nr. 31) die Idee, dass der Rabe mit seinem Gekrächz das lateinische Wort cras (›morgen‹) spricht. Augustinus (354–430) hat in einer Predigt diesen ›Ausspruch‹ des Raben mit seinem Verhalten bei der Sintflut (Genesis 8,7) in Verbindung gebracht, wo er nicht zur Arche zurückkehrte.

Die Idee hat eine lange Tradition, vgl. den Aufsatz von Uwe Ruberg, Signifikative Vogelrufe. ”Ein rapp singt all zeit cras cras cras”. In: W. Harms / H. Reinitzer (Hgg.), Natura loquax. Naturkunde und allegorische Naturdeutung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit, (Mikrokosmos 7), Frankfurt/M. 1981, S. 183–204.

Der Vogel verführt den Narrn dazu, vffschlag [Aufschub] zu suchen; modern ausgedrückt: Er verleitet ihn zur Pro-cras-tination.

Brant: Wer singt Cras Cras glich wie eyn rapp [Rabe]
Der blibt eyn narr biß jnn syn grapp
[Grab]

Hier zur Abwechslung der Holzschnitt von Tobias Stimmer (1539–1584) aus: Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; […] Basel: Heinricpetri 1574.

Das Bild aus der Ausgabe 1494 hier:

> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00036978/image_6
> http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n031.html (mit transkribiertem Text)

• Der Dominikaner Franz von Retz († 1472) verfasste ein Werk, in dem er darlegte, dass alle Paradoxien, die man Maria zuschreibt (z.B. die Jungfrauengeburt), erklärbar sind; für jedes scheinbare Paradox gibt es Parallelfälle aus der Natur und aus der antiken Mythologie und Geschichte. Logik: Wenn sogar das, warum dann nicht auch bei Maria?

Valerius Maximus erzählt (Facta et dicta memorabilia I,vi,5), im 2.Punischen Krieg habe ein Rind dem Befehlshaber Domitius zugerufen Cave tibi roma (Rom, sehe dich vor!)

Defensorium inviolate perpetueque virginitatis castissime dei genitricis Mariae, in quo adducuntur xlvi. naturalia et mirabilia exempla: clarorum scriptorum auctoritate roborata: et experientia rerum conprobata, [Basel: Lienhart Ysenhut, zwischen 1487 u. 1490]
> https://doi.org/10.3931/e-rara-4988

Si bos humanis verbis personuisse claret
cur verbum patris in terris virgo non generaret

Kunde ein Ochse reden/ hut dich Rome/
an
[âne = ohne] alle menscheliche lere/
So mochte geberen ihesum schone
eine reine magt mit ere.

• Warum spricht der Gekreuzigte zum hl. Thomas von Aquin den Satz BENE SCRIPSISTI DE ME THOMA (Gut hast du von mir geschrieben, Thomas) in einer hinsichtlich der Schrift gedrehten Sprechzeile? (Ein Versehen des Kupferstechers C.Boel ist kaum anzunehmen, denn der in dieselbe Platte gestochene Text ist ja korrekt ausgerichtet.)

 

 

Vita D. Thomae Aquinatis, Othonis Væni ingenio et manu delineata, Antverpiae MDCX. [Kupfer verfertigt von versch. Stechern, dieser von C.Boel]
> https://archive.org/details/gri_33125008501385/page/n41

• Eine interessante Weiterentwicklung bietet der Illustrator der Ausgabe von Thomas Murners (1475–1537) »Schelmenzunft« (Druck Augsburg: Silvan Othmar 1513). Im Kapitel Glatte wörter schleiffen geht es darum: Die Welt ist heutzutage voller schlauer Kunstgriffe; wer diese überlisten will, muss schlau vorgehen: Er muss die Wörter zurechtschleifen; d.h. schmeicheln können.

Der Mann im Bild spricht das Wort FERBVM aus, das er am Schleifstein wetzt. Bildtechnisch geht das so: (1) Die sprichwörtliche Redensart ›seine Wörter schleifen‹ wird konkretisiert, wobei (2) das Wort ›Wort‹ (verbum) als Titulus (vgl. Verknüpfungstechnik 2) materialisiert ist. – Dazu kommt noch (3) der Witz, dass der Mann nicht gut Latein kann (ferbum statt verbum).

> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00007887/image_1

Dem Übersetzer bzw. dessen Illustrator ist dieser Witz echappiert:

Levia hic verbula expolit (Der poliert lügenhafte Wörtchen.)

[Johann Flittner (1618-1678)], Nebulo nebulonum; hoc est, Iocoseria modernae nequitiae censura … Carmine iambico dimetro adornata a Ioanne Flitnero …, Frankfurt a.M.: Zetter 1620; Oda XXIII (S. 121ff.) > http://www.uni-mannheim.de/mateo/camena/flit1/jpg/s129.html

Weitere Hinweise zum Thema Sprechblase:

https://en.wikipedia.org/wiki/Speech_balloon mit weiteren historischen Beispielen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Porphyrios#/media/File:AverroesAndPorphyry.JPG

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/82/Cruikshank_-_The_Allied_Bakers.png

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›Sprechblasen‹ (2) oder separat abgesetzter Text?

Es gibt einen glücklichen Zufall, der diese Frage aufwirft. Das »Memorial der Tugend« des Johann von Schwar[t]zenberg (* 1463 oder 1465   † 1528) ist parallel überliefert:

Das Büchle Memorial, das ist ein angedänckung der Tugend, von herren Johannsen vonn Schwartzenberg jetzt säliger gedächtnuss, etwo mit Figuren und reimen gemacht, Augsburg: Steiner 1534 (Neuauflage 1540)
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00029340/image_237

Handschrift der Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden in Trogen: Ms. 13
> http://www.e-codices.unifr.ch/en/cea/0013/35r

Als Beispiel diene das Gespräch von Diogenes mit Kaiser Alexander (Cicero, Gespräche in Tusculum V, 92: ›Geh mir aus der Sonne!‹)

Der Holzschnitt (von Hans Schäuffelein) ist begleitet von typographisch gesetzten Texten.

Oben der Dialog

Alexander: Von dir hört ich vil fremder mer [mhd. mære: der Bericht] | Darumb bin ich zuo dir kommen her. All deiner bitt ich dich gewer.

Diogenes: […] Ich bit dich gehe von mir hin dan | Das mich die sonn müg scheinen an.

Unten extradiegetisch die Moral von der Geschicht: Diogenis weißheit hie hört | Merck was für hoffart vns bedört […]

(Hier aus dem Druck von 1540)

In der Trogener Handschrift sind die Dialog-Texte in Form von Banderolen den Sprechenden zugeordnet:

Fol. 35 recto

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›Sprechblasen‹ (3: Text als Bild realisiert)

Statt die von der Figur geäußerte Rede als Text in einer Sprechblase wiederzugeben, kann man sie auch – wenn das wie bei Narrativen möglich ist – als Bild wiedergeben.

• Erster Fall. Die von der Figur berichtete Rede ist gerahmt, so dass deutlich ersichtlich ist: Es handelt sich um zitierte Rede.

1.Mos 37,5: Einst hatte Josef einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, hassten sie ihn noch mehr. 6 Er sagte zu ihnen: »Hört, was ich geträumt habe. 7 Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen. Eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe«. 8 Da sagten seine Brüder zu ihm: »Willst du etwa König über uns werden oder dich als Herr über uns aufspielen?« Und sie hassten ihn noch mehr wegen seiner Träume und seiner Worte. 9 Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: »Ich träumte noch einmal: Die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich tief vor mir.«

Das Bild zeigt sowohl die narrative Ebene, Erzählrahmen, als auch – hervorgehoben durch die beiden Medaillons – den erzählten Trauminhalt: die Garben und die Sonne zwischen den Sternen.

Quellenangabe: Icones Biblicae Veteris et Novi Testamenti. Figuren biblischer Historien Alten und Neuen Testaments. Proprio aere aeri incisae, et venales expositae a Melchiore Kysel, Augustano. Augustae Vind. MDCLXXIX.

Literaturhinweis: Marion Keuchen, Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln: Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart, (Arbeiten zur Religionspädagogik 61), Vandenhoeck & Ruprecht 2016.

• Zweiter Fall. Hier ist die von der Figur berichtete Rede nicht gerahmt.

In des Boethius (um 480 – 524) »Consolatio Philosophiae« (Trost der Philosophie) spricht die personifizierte Philosophie zu Boethius:

Fortunae te regendum dedisti: dominae moribus oportet obtemperes. Tu vero volventis rotae impetum retinere conaris? (II, prosa 1) »Du hast Dich dem Regiment der Fortuna anvertraut. Nun mußt du den Sitten der Herrin gehorchen. Du versuchst den Schwung des rollenden Rades aufzuhalten?«

Haec nostra vis es, hunc continuum ludum ludimus: rotam volubili orbe versamus, infima summis, summa infimis mutare gaudemus. Ascende, si placet, sed ea lege, ne, ut cum ludicri mei ratio poscet, descendere iniuriam putes. (II, prosa 2) »Dies ist unsere Macht, dies ununterbrochene Spiel spielen wir, wir drehen das Rad in kreisendem Schwunge, wir freuen uns, das Tiefste mit dem Höchsten, das Höchste mit dem Tiefsten zu tauschen. Steige aufwärts, wenn es dir gefällt, aber unter der Bedingung, daß du es nicht für ein Unrecht hältst, herabzusteigen, wenn es die Regel meines Spiels fordert.« (Hier gibt sich Philosophia so, als ob sie selbst Fortuna wäre.)

In der Illustration des unbekannten Meisters (1501) scheint das Rad, von dem Philosophia berichtet, in derselben Landschaft zu stehen, in der Boethius und die Philosophie spazieren.

Boetius de Philosophico consolatu siue de consolatione philosophiae: cum figuris ornatissimis nouiter expolitus, Argentinae: Grüninger 1501. (Ausschnitt; Foto PM). Digitalisate von kolorierten Exemplaren: > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00005001/image_1 und > http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/boethius1501

Auf der Kanzel der Stiftskirche St. Michael in Beromünster ist (passend zum Ort der Darstellung) das Gleichnis von der vielfachen Saat dargestellt (Matth 13,1–9 || Mk 4,1–9 || Luk 8,4–8).

Matthäus: An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees. Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich; die Leute aber standen am Ufer. Und er sprach lange zu ihnen in Form von Gleichnissen. Er sagte: »Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil der Körner auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre!«

Der am See predigende Jesus zeigt auf den Sämann, die Vögel und den steinigen Weg, die sich alle in derselben Realitätsebene zu befinden scheinen.

Noch komplizierter ist der Holzschnitt in Sebastian Brants Fabelbuch (1501). Illustriert wird das Rätsel der Sphinx:

Die Sphinx ist ein ungeheuerliches Lebewesen in Äthiopien, das zur Familie der Affen gehört, ein dunkles Fell und zwei Brüste hat und einem Menschen ähnlich sieht. Die Dichter lassen sie Antlitz und Brust einer jungen Frau, Vogelfedern und Löwentatzen haben. In Theben stellte die Sphinx nach dem Tode des Laios, den sein Sohn Ödipus unwissentlich erschlagen hatte, die Rätselfrage, welches Lebewesen sowohl zweifüßig als auch drei- und vierfüßig sei. Ödipus allein erriet, daß es der Mensch sei. Da stürzte sich die Sphinx ins Meer; Ödipus aber gewann die verwitwete Königin, seine Mutter Jokaste, zur Frau und wurde König von Theben. (Übersetzung des Texts bei Brant nach Mateo. Die antike Quelle ist die sog. »Bibliotheke Apollodors«, eine auf griechisch abgefasste Mythologie vermutlich aus dem 1. Jh. u. Z.; Buch 3, § 52–55.)

Aus: Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, [Basel 1501] > http://www.e-rara.ch/bau_1/content/pageview/1722608 oder > http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/esop/seite360.html

Vgl. Sebastian Brant, Fabeln. Carminum et fabularum additiones Sebastiani Brant; Sebastian Brants Ergänzungen zur Aesop-Ausgabe von 1501. Mit den Holzschnitten der Ausgabe von 1501 hrsg., übers. und mit einem Nachw. vers. von Bernd Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1999 (Arbeiten und Editionen zur mittleren deutschen Literatur N.F. 4).

Abgebildet ist die Sphinx sowie – ohne dass es durch einen Rahmen oder sonst ein Gestaltungsmittel abgegrenzt ist – das von ihr gestellte Rätsel, welches Lebewesen zugleich zwei-, drei- und vierfüßig sei, und zwar – weil dieser abstrakte Satz graphisch nicht realisierbar ist – in Form der Lösung: Kind, Erwachsener und Greis.

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Spezialfälle der Verknüpfungslogik

••• Wenn als Bild realisierte Allegorien Tituli (oder ähnliche Beschriftungen) enthalten, so ist damit nicht die semantische Bestimmung der Bildteile intendiert, sondern es wird deren allegorische Bedeutung angegeben. Logisch gesprochen handelt es sich um eine zweispaltige Paralleltabelle: in der einen Spalte wird das Signifikans bildlich realisiert / in der anderen das Signifikat textlich.

Hier ein Beispiel, wo die Bezüge mittels Tituli (Technik 2) realisiert sind; es kommen auch die Techniken 3 und 4 vor.

XL emblemata miscella nova. Das ist: XL underschiedliche Außerlesene New­radierte Kunststuck: Durch Weiland den Kunstreichen und Weitberüempten Herrn Christoff Murern von Zürych inventiret/ vnnd mit eygener handt zum Truck in Kupffer gerissen; An jetzo erstlich Zuo nutzlichem Gebrauch und Nachrichtung allen Liebhabern der Malerey in Truck gefertiget / vnd mit allerley dazu dienstlichen aufferbaulichen Reymen erkläret: durch Johann Heinrich Rordorffen / auch Burgern daselbst. Gedruckt zuo Zürych bey Johann Ruodolff Wolffen. Anno .DC.XXII.

Titel: Warheit – Veritas. Das ist die in der Bibel (VERBVM DEI ist ein herkömmlicher Titulus) lesende nackte Personifikation mit der brennenden Kerze; sie ist die Tochter der Zeit (vgl. die Figur rechts mit Flügeln und Sanduhr), weil sie ›mit der Zeit an den Tag kommt‹. Sie hat Feinde und eine Helferin:

Signifikans – als Bild Signifikat – als Text
die Kanonenrohre Proditio (Verrat)
Violentia (Gewalt)
der Blasbalg Superstitio (Aberglaube)
der Schild Persecutio (Verfolgung)
das Buch (am Boden) Traditio (die ehrwürdige Überlieferung)

••• Das Astrologie-Männchen sieht oberflächlich ähnlich aus wie die semantische Beschreibung von Teilen eines Objekts (der menschliche Leib in der Bildmitte) mittels Legenden. Falsch! Die Verbindungslinien zwischen den Gliedmaßen und den Legenden / Pictogrammen beschreiben Zuordnungen von Körperteilen zu Komplexionen und zu Sternzeichen (die Pictogramme). Logisch eine dreispaltige Paralleltabelle mit 12 Zeilen.

Der Text besagt: Der Widder (Aries) ist warm, trocken, feurig und gallig, und hat sich vom Körper das Haupt in Anspruch genommen. – Der Stier (Taurus) ist kalt und trocken, erdhaft und melancholisch, zu ihm gehört der Hals. – usw.

Gregor Reisch, Aepitoma omnis phylosophiae. Alias Margarita Phylosophica tractans de omni genere scibili, Freiburg: Joh. Schott 1503; Buch VII; Tract. II, Kapitel 2. – Vgl. die Übersetzung von Otto und Eva Schönberger, Würzburg: Königshausen & Neumann 2016; S.299.

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Geschichte / Wissensgebiete

Das Bedürfnis zur Verknüpfung von Bild und Text ist alt, und die Techniken zur Lösung ebenso.

Wichtige Disziplinen, wo einzelne Bildteile unterschieden werden müssen, sind: Anatomie, Kartographie, Technologie, Bildwörterbücher (seit Comenius).

Beispiele:

••• Das Werk Περὶ Τὰ Ζῷα Ἱστορίαι = »Historia animalium« des Aristoteles (384 – 322) muss, wie aus dem Text hervorgeht, mit anatomischen Abbildungen versehen gewesen sein, wobei durch Buchstaben auf die Bildelemente verwiesen wurde. (Handschriften sind aus der Zeit nicht überliefert; die modernen Bilder sind Rekonstruktionen.)

Hermann Aubert / Friedrich Wimmer, Aristoteles, Thierkunde, Leipzig 1868.

Das Beispiel aus Hist.an., III,1 = 510a–511a: Das Gesagte lässt sich aus folgender Zeichnung ersehen: der Ursprung der aus der Aorta kommenden Gänge ist bei A, die Köpfe der Hoden [Epididymis] und die bis dahin herabsteigenden Gänge da, wo K ist. Die von da aus am Hoden anliegenden, wo die beiden ω sind, die umbiegenden, in denen die weiße Flüssigkeit enthalten ist [Ductus deferens], wo die beiden B, ferner die Rute [der Penis] Δ, die Blase E und die Hoden, wo die beiden ψ eingeschrieben sind. (Übersetzung von Aubert/Wimmer)

Literaturhinweise hierzu:

Aristoteles, Biologische Schriften, griechisch und deutsch hg. von Heinrich Balss, München: Heimeran 1943; S. 98 (dieselbe Stelle mit leicht anderer Zeichnung).

Aristoteles: Tierkunde. Übersetzt von Paul Gohlke, Paderborn: Schöningh 1949 (Aristoteles: Die Lehrschriften Bd. 8,1)

Friederike Berger, Die Textgeschichte der Historia Animalium des Aristoteles, 2005

Alfred Stückelberger, Aristoteles illustratus. Anschauungshilfsmittel in der Schule des Peripatos, in: Museum Helveticum. Schweizerische Zeitschrift für klassische Altertumswissenschaft 50 (1993) Heft 3 > http://dx.doi.org/10.5169/seals-39203

••• Im St.Galler Klosterplan (vor dem Jahr 837) sind die Gebäudeteile direkt angeschrieben. Ob die Mönche in der Karolingerzeit diese Technik selbst entwickelt haben oder antike Vorlagen kannten?

St.Galler Klosterplan (Ausschnitt) > http://www.stgallplan.org/de/index_plan.html

Östlich des Chorumgangs [im Plan oben in der Rundung] steht: HIC SINE DOMATIBUS PARADISI PLANA PARANTUR – Here are provided the plans for a parklike space without a roof.

In der Apsis selbst steht: Hic pauli dignos magni celebramus honores – Here we celebrate the honors worthy of the great St. Paul.

Auf der Nordseite [der viereckige Bau links von der Altar-Zone] befinden sich im Erdgeschoß das Skriptorium | im oberen Stockwerk die Bibliothek [die Schrift läuft von oben nach unten]: Infra sedes scribentium | supra bibliotheca – Below the seats for the scribes | above the library.

Literaturhinweise auf der genannten Website.

••• Kartographie: Die Namen von Ländern, Städten usw. werden bis heutzutage in Landkarten direkt eingeschrieben.

Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker Herrschafften, Stetten vnnd namhafftiger flecken / härkommen…. Allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit einem zuogelegten Register vil breüchlicher gemacht. Basel: Heinrich Petri 1546.

Als ältere Beispiele seien nur genannt die aus der Antike stammende Peutingerkarte oder die Hereford-Karte (Ende 13. Jh.).

••• Sachsenspiegel (Hss. überliefert zu Beginn des 14. Jahrhunderts)

Der »Sachsenspiegel« des Eike von Repgow (urkundlich belegt zwischen 1209 und 1233) wurde Ende des 13.Jhs. illustriert; vier Handschriften sind erhalten. Die Bilder der Heidelberger Handschrift sind mit Buchstaben (und römischen Ziffern; hier der Einfachheit halber weggelassen) den Texten zugeordnet.

Beispiel aus Landrecht III, § 45 zum Thema »Wergeld« (Buße, die bei der Tötung eines Menschen zu entrichten ist; von german. *wër = der Mann; abhängig von der sozialen Stellung des Opfers; vgl. den Artikel im Lexikon des Mittelalters, Band 8, s.v.).

In der Mitte bei P: Phaffen kindere vnd die vnelich geborn sind, den gibit man czu buoze ein voder howes als czwene ierige ochsen geczien mügen (Kindern von Geistlichen und solchen, die unehelich geboren sind, denen gibt man als Buße ein Fuder Heu, wie es zwei jährige Ochsen zu ziehen vermögen.)

Darunter links bei K: Kemphen vnd iren kinderen gibit man czu buze eines schildes blic gegen der sunnen (Kämpfern und ihren Kindern gibt man als Buße das Blinken eines gegen die Sonne gehaltenen Schildes.)

Rechts daneben bei S: Spilluyte vnd alle die sich czu eigen geben, den gibit man czu buze den schaten eines mannes (Spielleuten und allen, die sich in Leibeigenschaft begeben haben, denen gibt man als Buße den Schatten eines Mannes [vgl. Bild!])

Zuunterst rechts bei A: Ane wergelt sint vnechte luyte … (Ohne Wergeld sind rechtlose Leute. Wer jedoch einen von ihnen verwundet, beraubt oder tötet oder eine rechtlose Frau notzüchtigt [vgl. die dargestellte Szene!], über den soll man nach Friedensrecht richten.)

Sachsenspiegel, Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg cpg 164, fol. 20recto > http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164/0053

Faksimile: Der Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal. Germ. 164. Kommentar und Übers. von Walter Koschorreck, neu eingeleitet von Wilfried Werner, Frankfurt am Main: Insel Verlag 1989.

Literaturhinweis: Ruth Schmidt-Wiegand (Hg.), Text-Bild-Interpretationen. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. München 1986 (Münstersche Mittelalterschriften. 55/I und II).

••• In der Anatomie war die Benennung von Einzelteilen des Körpers immer wichtig. Eine prominente Figur ist natürlich Andreas Vesal (1514–1564) mit seinen »De humani corporis fabrica libri septem« (Basel 1543). Hier ein späteres Beispiel aus der weitläufigen anatomischen Literatur:

Künstliche Zerlegung deß gantzen Menschlichen Leibes / Anfangs in Lateinischer Sprache beschrieben/ und mit vielen schönen Figuren gezieret von ... Joanne Veslingio .. Jetzo aber ... ins Teutsche übersetzt durch Gerhardum Blasium .. Nürnberg/ in Verlegung Johann Hofmanns/ Buch- und Kunst-Händlern. Anno MDCLXXXVIII; Tafel zu Seite 160

Beispiele aus der Legende zur 1. Figur: Die grosse Holl=ader. Darinn
A. Der Anfang/ der aus dem Hertzen aufwerts steigenden Holl=ader. [vena cava?]
BB. Der Ursprung/ der unter den Schlüssel-beinen ligenden Aesten.
C. Der Anfang des absteigenden Stammes.
DD. Der rechte und lincke Brand-ast.
aaa. Die ungepaarte Ader/ und dessen Aeste.
bb. Der öbere zwischen den Rippen ligende Ader.
cc. Der innere Dutten-ader
* Die Mittel-falls-ader.
dd. Die Gewerb-bein-ader

[…]
αα Der ursprung der Lenden-adern.
ββ Die Untere Mäuslein-ader der Lenden
γγ Die Heilige-ader

usw.

••• Ein genialer Visualisierer war Georg Agricola (1494–1555). Hier ein von zwei Männern angetriebener Göpel (ein Windewerk zum Heben von Lasten; der Übersetzer Philipp Bechius [Bächi] schreibt gepell):

Vom Bergkwerck xij Bücher darinn alle Emter / Instrument / Gezeuge … vorbildet / vnd klärlich beschriben seindt / erstlich in Lateinischer sprach / durch den Hochgelerten vnd Weitperümpten Herrn Georgium Agricolam … jetzundt aber verteütscht / durch den Achtparen vnnd Hochgelerten Herrn Philippum Bechium … Getruckt zuo Basel durch Jeronymus Froben vnd Niclausen Bischoffen im 1557. jar. Pag. CXXV.

Legende: Spille A.  Stock B. Steg darauff die gepell seill ghondt C.  Scheibe D.  Kamprad E.  Welle F.  Fürgelege oder getreibe G.  Seill H.  Stab I.  Seule K.  Der scheiben leiste L.

Im Bereich der technischen Illustration wären etwa noch zu nennen:

Agostino Ramelli (1531 – ca. 1610), Diverse et artificiose machine, [italien/frz Parallelausgabe, Parigi/Paris] 1588, > http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-8944

Georg Andreas Böckler (um 1617 – 1687), Theatrum Machinarum Novum. Neu-vermehrter Schauplatz der mechanischen Künsten, handelt von allerhand Wasser- Wind- Ross- Gewicht- und Hand-Mühlen, wie dieselbige zu dem Frucht-Mahlen, Papyr- Pulver- Stampff-Segen- Bohren- Walcken-Mangen, und dergleichen anzuordnen, Nürnberg: In Verlegung Paulus Fürsten, Gedruckt bey Christoff Gerhard 1661. > http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:DA0N7C57

Jacob Leupold (1674–1727), Theatrum Machinarum Generale oder Schauplatz des Grundes mechanischer Wissenschaften, Leipzig: Gleditsch 1724. > http://diglib.hab.de/drucke/od-2f-11/start.htm

Veit Balthasar Henning (1707–1762), Sammlung nützlicher Machinen und Instrumenten nebst deren Erklärung aus dem Französischen, Englischen und andern Sprachen ins Teutsche übersezt, Nürnberg [Selbstverlag] [1766]. > http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-18532

••• Die Bilder in der Enzyklopädie von Ephraim Chambers (ca. 1680–1740) sind wichtig, weil die Organisatoren der »Encyclopédie« sich durch ihn anregen ließen. Im Beispiel ist die Legende in dieselbe Kupferplatte gestochen wie das Bild. Die häufigere Technik ist die: Kupferstich mit Verweiszeichen / separater Bleisatz mit Verweiszeichen plus Legende. Das ist dann auch in der Encyclopédie die Regel.

Cyclopaedia or, an Universal Dictionary of Arts and Sciences By E. Chambers, F.R.S. With the supplement, and modern improvements, incorporated in one alphabet. By Abraham Rees, D.D London 1778–1788. Band 5 (1786 = Tafeln); Fortified Place.

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Andere Kulturen

Aus der chinesischen Enzyklopädie »Sancai Tuhui« (三才圖會 Collected Illustrations for the Three Realms), aus der Ming-Dynastie; 1609 c.e.

心圖 Die Funktionsweise des Herzens

The diagram xin tu illustrates the human heart and the blood vessels attached to it. The five vessels are explained as the origin of the circulation (xi 系) in the five organs fundamental to Chinese medicine: the heart xin 心, lung fei 肺, liver gan 肝, kidney shen 腎 and spleen pi 脾. The two texts explain the heart (text on the right) and gives textual evidence from the medical manual Su Wen 素文 confirming the heart as the most important of all human organs (text on the left). The text on the right explains that the heart weighs 12 liang (442 grams), is situated below the lung and has seven openings. (Text von Marc Winter, UZH)

Sancai Tuhui, Section “shenti 身體”, juan 1. Wang Qi 王圻 and Wang Siyi 王思義 (ed.) 1988 – . San Cai Tuhui 三才圖會 (Collected Illustrations for the Three Realms, Shanghai: Shanghai Guji CBS 1985.

Engelbert Kaempfer (1651–1716) hat auf seinen Forschungsreisen in Japan die Moxibustion kennengelernt und beschrieben.

Amoenitatum exoticarum politico-physico-medicarum fasciculi v, quibus continentur variae relationes, observationes & descriptiones rerum Persicarum & ulterioris Asiae, multâ attentione, in peregrinationibus per universum Orientum, collecta, ab auctore Engelberto Kaempfero. Lemgoviae, Typis & impensis H.W. Meyeri, 1712; Seite 601. > http://www.e-rara.ch/zut/content/pageview/3480603

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Literaturhinweise

Arwed Arnulf, Versus ad picturas. Studien zur Titulardichtung als Quellengattung der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Hochmittelalter, München: Deutscher Kunstverlag 1997.

Nikolaus Henkel, Bildtexte. Die Spruchbänder der Berliner Handschrift von Heinrichs von Veldeke Eneasroman. In: Poesis et pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in alten Handschriften und Drucken. Festschrift für Dieter Wuttke, hg. von Stephan Füssel und Joachim Knape, Baden-Baden 1989, S. 1–54.

Nikolaus Henkel, Bild und Text. Die Spruchbänder der ehem. Berliner Handschrift von Priester Wernhers 'Maria', in: Scrinium Berolinense. Tilo Brandis zum 65. Geburtstag, hg. von Peter Jörg Becker u.a., Bd. I, Wiesbaden 2000, S. 246–275.

Karl Clausberg, Metamorphosen am laufenden Band. Ein kurzgefasster Problemumriss der Sprechblase, in: Ästhetik des Comic, hg. Michael Hein u.a., Berlin: E.Schmidt 2002, S. 17–36.

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Online gestellt im Juli 2016; ergänzt im Juni 2019. --- P.M.

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